Ein Hoch auf die Azoren

Vulkane, Wasserfälle und Mee(h)r im Paradies für Naturliebhaber.

„Willkommen auf den Azoren, einem Archipel aus neun Vulkaninseln mitten im Atlantischen Ozean. Hier finden Sie alles, was Ihr Herz begehrt: üppige Wälder, tiefe Seen, heiße Quellen, spektakuläre Wasserfälle und natürlich jede Menge Abenteuer. Die Azoren sind ein Paradies für Abenteurer und Erholungssuchende. Buchen sie noch heute ihre Reise und entdecken sie diesen einzigartigen Archipel!”

So oder ähnlich locken bunte Hochglanzbroschüren und aufwendig gestaltete Seiten von Reiseanbietern im Internet vorzugsweise Naturliebhaber für einen Besuch der Inselgruppe im Atlantischen Ozean, etwa eintausendvierhundert Kilometer westlich der portugiesischen Küste. 

Geprägt von den Erlebnissen und den unvergesslichen Eindrücken während meines Urlaubes im letzten Sommer auf Island, habe ich mir in diesem Jahr die Azoren auch aufgrund dieser Beschreibungen als Reiseziel herausgesucht.

Auf Umwegen in das Paradies 

Von den neun Inseln des Archipels durfte ich Santa Maria, Sao Miguel im Osten, Flores, Corvo im Westen und die zentral gelegene Insel Faial beim Wandern, Radfahren und mit dem Auto erkunden. Fünf kleine Welten, bei denen es genauso viele Gemeinsamkeiten wie Unterschiede gibt, denen allen aber die Freundlichkeit ihrer Einwohner gemein ist. 

Zurecht werden die Azoren als das Hawaii Europas bezeichnet, auch wenn ich noch nicht dort gewesen bin. Aber wer weiß schon, was alles noch kommen wird. 

Meine Reise begann an dem Samstag des letzten Wochenendes im Juli. Die Schulferien haben bereits in Bayern begonnen. Dennoch ist der Flughafen in München nicht übervoll mit Reisenden. Kurz vor meiner Ankunft am Airport erhalte ich von der portugiesischen Airline TAP via SMS die Nachricht, dass sich der Abflug nach Lissabon um zwei Stunden verzögern wird. Den bereits gebuchten Anschlussflug auf die Azoren werde ich somit sicherlich nicht erreichen.

Aber warum soll ich mir Sorgen machen über das Kommende. Vielmehr genieße ich das abwechslungsreiche Leben im Terminal 2 des Flughafens mit den vielen Geschäften, die ihre bunten Luxusartikel ausgelegt haben, den Cafés und Restaurants. Ich lasse meine Seele baumeln bei einem Bier vom Fass und einer Brezel, typisch bayerisch eben.

Mit zwei Stunden Verspätung hebt das Flugzeug endlich in Richtung Portugal ab. Es ist ein angenehmer, ruhiger Flug. Nur einmal, kurz nach dem Start, zwingen die heftigen Turbulenzen in der Luft die Passagiere sich an den Sitzlehnen der Vordersitze festzuhalten. Der Flieger ist bis zum letzten Platz voll besetzt. Mit an Bord ist eine Schulklasse, vermutlich auf einer Klassenfahrt nach Lissabon. Im Minutentakt wechseln sie ihre Sitzplätze, um sich mit ihren Freunden über die neuesten Serien bei Netflix und die coolsten Must-Have Apps auszutauschen. Die älteren Mitreisenden werden dadurch bei ihrem Nickerchen gestört. Gelassen nehmen sie jedoch die Ruhestörung hin, denn sie sind ja im Urlaub.

Nach der Landung mit der deutlich verspäteten Ankunft am Flughafen in Lissabon, treffe ich mich mit den anderen Gestrandeten an dem Büro der Fluggesellschaft TAP, um die Details für meinen Weiterflug zu klären. Der ist an diesem Abend nicht mehr möglich. Stattdessen erhalte ich eine Handvoll Vouchers zum Einkauf am Flughafen sowie einen Gutschein für eine Übernachtung in Lissabon in einem Hotel. 

Da der mir angebotene Ersatzflug erst einen Tag später abends erfolgen soll, buche ich mir eigenständig einen Flug über Booking.com für den nächsten Tag mittags. All die Rechnungen werde ich nach meinem Urlaub bei der Fluggesellschaft zur Rückerstattung der Kosten einreichen. Glücklicherweise haben in der Europäischen Union die Fluggäste durch entsprechende gesetzliche Reglungen heutzutage mehr Rechte.

Es ist schon spät am Abend. Bevor ich in meine Notunterkunft aufbrechen kann, benötige ich noch mein Gepäck. Das zu bekommen ist nicht so einfach. Beim Schalter „Lost and Found“ muss ich zunächst ein Formular ausfüllen, damit meine Utensilien aus dem Lagerraum irgendwo in einem der Untergeschosse des Flughafens herausgeholt werden. In der Zwischenzeit beobachte ich das bunte Treiben der Ankommenden aus der ganzen Welt. Unter ihnen sind viele junge Menschen, denn zurzeit finden in der Hauptstadt die Weltjugendtage statt. Das ist ein katholisches Event, an dem auch der Papa Papst seine Segenswünsche vor Ort an die Gläubigen übermitteln wird.

Endlich, nach zwei Stunden des nervigen Wartens auf meine Sachen, kann ich kurz vor Mitternacht mit dem Taxi zu meiner Herberge Melia Oriente aufbrechen. Dieses elegante Stadthotel liegt in dem modernen Parque das Nações der Hauptstadt, ganz in der Nähe der Haltestelle Oriente am Stadtstrand. 

Mich beeindruckt beim nächtlichen Spaziergang in der Umgebung des Hotels die moderne Architektur in diesem Stadtviertel. Der Parque das Nações ist ein saniertes Hafengebiet am Fluss Tejo. Grünflächen mit öffentlicher Kunst verbinden moderne Gebäude, wie das Teatro de Camoes und das riesige Oceanário de Lisboa. Ganz in der Nähe finden sich trendige Restaurants am Wasser und das Centro Vasco da Gama mit Geschäften und Kinos vereint unter einem Glasdach. So ist es für mich auch nicht verwunderlich, dass selbst nach Mitternacht in der großen Shopping Mall die Menschen hier noch einkaufen.

Am nächsten Morgen genieße ich die fantastische Aussicht von meinem Hotelzimmer auf das Meer, in dem sich schon an den frühen Morgenstunden die gleißende Sonne im Wasser spiegelt. Es sind wunderschöne Momente, die ich gleichzeitig mit meiner täglichen Routine des Frühsports verbinde. Doch der außerplanmäßige Aufenthalt in Portugals Hauptstadt neigt sich dem Ende zu, denn das Taxi für die Fahrt zurück zum Flughafen wartet schon vor dem Hotel.

„Guten Morgen”, sagt Lucia, als ich in ihr Taxi einsteige. “Wohin kann ich Sie heute bringen?” “Zum Flughafen, bitte”, sage ich. „Gern”, sagt Lucia. “Das ist nicht weit.” Wir setzen uns in Bewegung und Lucia beginnt zu erzählen. Sie ist eine junge Frau mit langen, braunen Haaren und ausdrucksstarken Augen. Als Chefin eines kleinen Unternehmens mit sechs Taxis sitzt sie ab und zu selbst hinter dem Steuer. Im Hauptjob ist sie jedoch Mutter von zwei Kindern im Vorschulalter. Nachdem ich ihr von meinen Eindrücken beim Betrachten der modernen, architektonisch interessanten Gebäude in dem Stadtviertel Parque das Nações berichte, erzählt sie mir von den realen Problemen beim Leben und Wohnen in Lissabon. Viele Menschen können sich die hohen Mieten nicht mehr leisten und müssen in kleineren Wohnungen oder in Wohngemeinschaften leben. Ein Problem der Gegenwart, dass auch in München zur Realität gehört. Die Stadtverwaltung von Lissabon versucht mit dem Bau neuer Wohnungen und der Einführung von Mietpreiskontrollen dem anhaltenden Trend entgegenzuwirken, aber eine sichtbare Verbesserung der Situation wurde durch diese Maßnahmen noch nicht erreicht. 

Wir fahren durch die Straßen dieser charmanten Stadt und Lucia zeigt mir bei einer Extrarunde im Vorbeifahren den Turm Torre de Belém, eines der bekanntesten Wahrzeichen Lissabons. Nach einer Weile erreichen wir den Flughafen, in dem schon wieder das geschäftige Treiben mit dem Ankommen und Wegfliegen auf Hochtouren läuft. 

Die Insel Santa Maria, die Heilige und älteste Insel

Die Insel der Heiligen Maria ist die drittkleinste der neun Inseln der Azoren. Geologisch ist sie die älteste, die am südlichsten im Atlantischen Ozean liegt. Im Gegensatz zu den anderen Inseln der Azoren besteht sie aus Sedimentgestein, die sich ständig hebt und dadurch weiterwächst. Mit fuenfhundertsiebenundachtzig Metern über dem Meeresspiegel ist der Pico Alto im Nordosten die höchste Erhebung der Insel, während sich im Westen eine Ebene mit einer Höhe von einhundert Metern befindet.

Der Weiterflug von Lissabon nach Ponta Delgada hat einen Zwischenstopp auf der Insel Santa Maria vorgesehen. Santa Maria war die erste Insel der Azoren, die von den Portugiesen besiedelt wurde. In den nachfolgenden Jahrhunderten war die Insel ein wichtiger Zwischenstopp für die Schiffe, die zwischen Europa und Amerika verkehrten. Heute ist Santa Maria ein ruhiges und beschauliches Eiland, das auch ohne große Hotels oder Ferienressorts auskommt. Die meisten Bewohner in den kleinen Ortschaften leben von der Landwirtschaft oder von dem Tourismus, der hauptsächlich während der Sommermonate stattfindet.

Beim Aussteigen aus dem Flugzeug beeindruckt mich die dreitausend Meter lange Rollbahn, die direkt in das Meer zu führen scheint. Wir Reisenden gehen zu Fuß über diese Rollbahn in ein flaches Gebäude. Der Flughafen wurde 1944 von den United States Army Air Forces erbaut und war während des Zweiten Weltkriegs ein wichtiger Zwischenstopp für die Transatlantikflüge. Nach dem Krieg wurde der Flughafen von der portugiesischen Regierung übernommen und für den zivilen Luftverkehr genutzt. Heute ist er ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt für alle Inseln der Azoren, von dem die meisten Flüge nach Lissabon führen.

Meine vierstündige Wartezeit auf den Weiterflug zum Zielflughafen nach Ponta Delgada nutze ich für eine Wanderung entlang der gut ausgebauten Straße in die Ortschaft Vila do Porto. 

Willkommen in Portugal, Willkommen in Santa Maria verkünden die großformatigen Schilder, rechts und links der Magistrale. Es ist traumhaft ruhig an diesem Sonntagnachmittag. Die kleinen Nebenstraßen, die zu den flachen, einstöckigen Gehöften und Häusern entlang der Hauptstraße führen, wirken wie leergefegt. Auch wenn es zur fortgeschrittener Stunde noch sehr heiß ist, stellt sich bei mir ein innerer Frieden im Einklang mit der auf mich mediterran wirkenden Landschaft ein. Ich komme an den alten Wellblechbehausungen vorbei, in denen einst die amerikanischen Soldaten standesgemäß untergebracht waren. Heutzutage sind nur noch einige wenige von den ehemals einhundertfuenfundzwanzig Gebäuden zu sehen, die größtenteils leer stehen. Überhaupt scheinen viele Häuser unbewohnt zu sein. Kein Wunder, hat sich doch die Einwohnerzahl seit dem wirtschaftlichen Hoch in den Sechzigern um mehr als die Hälfte auf heute fuenftausendfuenfhundert hier lebende Insulaner reduziert. Viele Familien sind in den Jahren der Armut nach Amerika ausgewandert, von denen die Nachfahren nur noch zum Urlaub nach Santa Maria kommen.

Beeindruckend finde ich das große, weiße Gebäude mit dem roten Dach direkt an der Straße, das ein Kino ist. Das alles erinnert mich an Filme mit Szenen, die in amerikanischen Vorstädten spielen. In der Zeit, als der Flughafen von dem US-Militär betrieben wurde, fanden hier große Jazzkonzerte statt, wie im Internet nachzulesen ist. Die aus Amerika kommenden Musiker legten fast alle auf der Insel einen Zwischenstopp ein, bevor es im Flugzeug weiter zu Konzerten nach Europa ging. 

Die Wanderung nach Vila do Porto ist etwa sechs Kilometer lang und führt durch eine landschaftlich reizvolle Gegend. Als die älteste Stadt der Azoren wurde die Ortschaft bereits im Jahr 1439 von den Portugiesen besiedelt. Die kleinen, engen Gassen mit den weiß gestrichenen Häusern und dem Mauerwerk aus Vulkangestein erzeugen eine besondere, eine äußerst charmante Atmosphäre, die ich beim Durchstreifen des Örtchens in mich aufnehme. Am Wegesrand sitzen vor den Bars einheimische, ältere Männer unter roten Sonnenschirmen mit dem Logo der Biersorte, von der sie gerade den wohlschmeckenden Gerstensaft aus den üblichen kleinen braunen Flaschen trinken. Für sie ist das Beobachten des Geschehens im Ort gewiss schon längst zu einer der sonntäglichen Routinen geworden. 

Besonders angetan bin ich von der gotischen Kirche aus dem 16. Jahrhundert an der Hauptstraße, die das älteste Gotteshaus der Azoren ist. Wenn Steine reden könnten, dann würden hier sicherlich ganze Bände von Büchern geschrieben werden.

Zurück am Flughafen heißt es Abschied nehmen von Santa Maria, dem wunderschönen Kleinod im Atlantischen Ozean. Mit einer kleinen Propellermaschine geht es von hier aus direkt in ein Meer aus Wolken, die durch die Abendsonne rotgelb gefärbt sind. Nicht einmal fünfzehn Minuten dauert der kurze Flug, um auf der Insel Sao Miguel in Ponta Delgada anzukommen.

Wanderung auf Santa Maria:

  • Vom Flughafen nach Vila do Porto hin und zurück, 10 km, 130 Hm, 2:30 Std. Ein einfacher Weg, der zur Hauptstadt der Insel führt.

Die Insel Sao Miguel, das grüne Paradies

Sao Miguel ist mit einer Fläche von 746,8 Quadratkilometern die größte Insel der Azoren. Sie ist 63,7 km lang und 16,1 km breit. Auf Sao Miguel leben etwa 138.000 Menschen (Stand 2016), rund 68.000 davon in der Hauptstadt Ponta Delgada. 

Geologisch betrachtet besteht die Insel aus einem Westteil um dem Einsturzkrater Sete Cidades und aus einem 4 bis 5 Millionen Jahre alten Ostteil mit dem Gebirgsmassiv der Serra Água de Pau. Die zwei Teile der Insel wurden erst vor rund 10.000 Jahren durch den auch heute noch aktiven Vulkanismus verbunden. Bedingt durch die vielfältige und einzigartige Flora und Fauna, die sich mit dem Vulkanismus auf der ganzjährig grünen Insel entwickelt hat, wird dieses Paradies auch als das Hawaii Europas bezeichnet. Es ist gleichzeitig das wasserreichste Gebiet in ganz Europa. 

Für die Übernahme des Mietwagens muss ich zur späten Stunde einen Kilometer entlang des Flugplatzes von Ponta Delgada mit dem Gepäck marschieren, um zum Stellplatz des Autovermieters meiner Wahl zu kommen. Dort wartet schon ungeduldig Nancy in dem Firmenwagen auf mich, denn ich bin ihr letzter Kunde des Tages. Gemeinsam fahren wir zu ihrem Büro, das sich in einem Container befindet, der in einem Industriegebiet von Ponta Delgada steht. 

Ich bin ziemlich genervt, als sie mir sagt, dass zu dem bereits vorher vereinbarten Preis für den Verleih des Autos zusätzlich dreihundert Euro für das Upgrade zu einem größeren Wagen von mir gezahlt werden sollen. Aufgrund der um einen Tag verspäteten Ankunft durch den Flugausfall, war der von mir reservierte Kleinwagen nicht mehr verfügbar. Nancy bleibt trotz meines Unmuts freundlich und gelassen, weiß sie doch, dass ich mitten in der Nacht keine andere Wahl habe, einen alternativen fahrbaren Untersatz zu bekommen. Vielmehr erzählt sie mir im freundlichen Plauderton von ausgewählten Stationen ihres Lebens, dass auf der Insel Flores im Westen der Azoren begann. Für immer dorthin zurückkehren möchte sie jedoch nicht, denn in der Hauptstadt Ponta Delgada bieten sich für sie mehr Möglichkeiten für die berufliche Entwicklung. Ihr aktueller Job bei der Mietwagenfirma ist dabei nur eine Zwischenstation. So reden wir noch eine Weile über das Leben auf den Azoren und über meine Reisepläne mit dem späteren Besuch der Insel Flores, für die sie mir einige Tipps und Adressen auf einen Zettel schreibt.

Das Städtchen Ponta Delgada – modern und morbide

Am nächsten Morgen bleibt mir vor der Weiterfahrt die Zeit, um die Stadt Ponta Delgada zu Fuß zu erkunden, die zu einer natürlichen Bucht hin abfällt. Der Ort ist sehr geschichtsträchtig, wie ich in meinem mitgebrachten Reiseführer nachlesen kann. Daher gibt es auch eine große Ansammlung an interessanten Baudenkmälern. Die Portas da Cidade, die drei Bögen des alten Stadttors als Wahrzeichen von Ponta Delgada, ist für mich der perfekte Ausgangspunkt für die Sightseeing Tour.

Auffällig ist die typische Bauweise vieler Häuser und Baudenkmäler mit dem Kontrast zwischen dem Weiß der Wände und dem schwarzem Basaltgestein, der vorwiegend als Eckstein und als Schmuckelement bei den Gebäuden verwendet wurde. In unmittelbarer Nähe befindet sich die Hauptkirche São Sebastião aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die dem Schutzheiligen Sebastian aus Dankbarkeit für seine Hilfe gegen die Pest gewidmet wurde. Im Innern der Kirche beeindrucken mich die blauen Azulejo-Fliesen in der Sakristei und die fein geschnitzten Bänke aus edlen Hölzern. Ebenfalls direkt um die Ecke befindet sich das Rathaus am Praça do Município mit dem markanten Glockenturm.

So reihen sich die repräsentativen Kirchen, Klöster, Paläste und historischen Gebäuden aus dem Mittelalter und der Neuzeit an Plätzen und in den schmalen Gassen inmitten der Altstadt eng aneinander. Mir fehlt an diesem Tag die Zeit, um die Informationen zu den Bauwerken im Detail gewissenhaft nachzulesen.

Die Tour verschafft mir aber einen sehr guten Eindruck über die historische Entwicklung der Hauptstadt bis hin zur Gegenwart, die auch durch die Kreuzfahrtschiffe geprägt ist, die in der Nähe der Uferpromenade an der „Portas do Mar“, dem Meerestor, an einem Ozeanschwimmbecken ihre Anlegestelle haben. 

Der ideale Ort für eine Pause nach der Stadtbesichtigung ist für mich der Stadtpark von Ponta Delgada, der Jardim António Borges aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die mehr als 2,5 Hektar große tropische Gartenanlage befindet sich nicht weit von der Altstadt entfernt. Am Südeingang erinnert ein Denkmal an den Gründer des Parks, António Borges. Der Kosmopolit war einer der ersten und später erfolgreichsten Landwirte, der den Anbau von Ananas auf der Insel Sao Miguels vorantrieb. Sein mit Azulejos, den bunten Keramikfliesen, verziertes Gewächshaus steht noch heute in dem Garten. Begeistert bin ich bei meinem Rundgang durch den Park von der Vielzahl der unterschiedlichsten Bäume und Sträucher, die aus den verschiedensten Teilen der Erde kommend, hier angepflanzt wurden. Auch die Eltern mit ihren Kindern schätzen diese Oase der Natur sehr, da es für jeden etwas zwischen den Bäumen, den kleinen Teichen und den Grotten zu entdecken gibt. Auf dem Spielplatz direkt am Eingang der Parkanlage gibt es außerdem ausreichende Möglichkeiten, um sich so richtig auszutoben.

Zurück in meinem Stadthotel in Ponta Delgada starte ich am Nachmittag mit dem Mietwagen, einem weißen Geländewagen der Marke Jeep, in Richtung Osten der Insel Sao Miguel, um mich endlich wieder einmal bei einer Wanderung auszupowern. 

Die erste wunderschöne Wanderung führt östlich des Flusstals des Ribeira da Praia zum Lagoa do Fogo, einem malerischen Kratersee auf einer Höhe von sechshundertzehn Metern über dem Meeresspiegel. Nach dem Aufstieg und der Route entlang eines breiten Wasserkanals am Oberlauf des Ribeira da Praia, erreiche ich eine Anhöhe am Südufer, von der sich mir die ganze Schönheit des Sees mit seinem türkisblauen Wasser und den hellen Sandstreifen aus zermahlenem Bimsstein am Ufer auftut. Ein wahrer Glücksmoment, denn nicht selten soll hier nur ein Wolkenmeer zu sehen sein. 

Beim Betrachten der Naturschönheit bleibt mir die Zeit, um die spannende Geschichte zur Entstehung des Sees im Internet nachzulesen (Auszug von Michael Bussmann, Azoren): 

“An der Stelle, wo sich heute der wassergefüllte Krater ausbreitet, erhob sich einst der mächtige Vulkankegel des Pico do Fogo, dessen letzte große Eruptionsphase am 2. Juni 1563 begann. Dem Ausbruch waren drei Tage lang Erdstöße vorausgegangen. Die Lavaströme vernichteten mehrere Siedlungen. Explosionen schleuderten Steine gen Himmel, die Sonne vermochte die Aschewolken nicht mehr zu durchdringen, selbst bei Tage soll es dunkel gewesen sein. Als die Magmakammer leer war, stürzte der Vulkan in sich zusammen, eine Caldeira als ein kesselförmiger Krater vulkanischen Ursprungs, die sich im Lauf der Zeit 30 m hoch mit Regenwasser füllte, blieb übrig. 

Im Mai 2005 begann eine Erdbebenserie den Mittel- und Ostteil Sao Miguels zu erschüttern, die bis in den Oktober anhielt. Die Epizentren lagen rund um den Pico do Fogo. Höhepunkt war der September, als zur Sicherheit gar Schulen geschlossen wurden. Mithilfe einer Sonde im Krater wird der Ausstoß an Kohlendioxid überwacht, das im Tiefenwasser des Sees in hoher Konzentration gelöst ist. Sollte es durch einen Erdrutsch oder ein Beben zu einer Zirkulation des Wassers kommen, würde CO2-haltiges Wasser an die Oberfläche steigen, wo infolge des Druckverlusts farb- und geruchloses Kohlendioxid in Gasform freigesetzt würde. Wäre die Kohlendioxidwolke groß genug, würde dies für alles Leben in Seenähe den Erstickungstod bedeuten.”

Zurück am Parkplatz geht die Fahrt weiter nach Furnas, meinem Zielort an diesem Tag. Dieses kleine, beschauliche Städtchen liegt in dem gleichnamigen Tal, umgeben von herrlichen Parkanlagen und einer traumhaften Berglandschaft. Ein Besuch des weitläufigen, grünen Tals, das sich aus einem erloschenen, riesigen Vulkankrater gebildet hat, zählt für mich zu den Höhepunkten meiner Reise auf der Insel Sao Miguels. 

Furnas besitzt auch einen der gepflegtesten Campingplätze der Azoren, den ich zur späten Stunde ansteure. Der Paqué de Campismo bietet alle Annehmlichkeiten für einen längeren Aufenthalt, auch wenn die Sanitäranlagen schon etwas in die Jahre gekommen sind. Viele portugiesisch sprechende Großfamilien haben auf dem Gelände ihre Zelte aufgebaut. Zwischen den mobilen Behausungen toben ausgelassen die Kinder. 

Von dieser Parkanlage aus habe ich einen fantastischen Blick auf die Ortschaft mit der weißen Kirche Santa Anna, die 1775 im azorianischen Stil mit den markanten dunklen Ecksteinen vulkanischen Ursprungs erbaut wurde. Als besonders schön empfinde ich beim Betrachten der Landschaft die blau blühenden Hortensien, die sich farblich von dem weitläufigen frischen Grün der Wiesen und Bäume abheben.  

Abends schlendere ich durch die kleine Ortschaft und komme am Ende der Hauptstraße zu einem Gebiet mit vielen heißen Quellen, aus denen weißer Dampf in Form kleiner Fähnchen zum Himmel nach oben steigt. Hier befindet sich auch das Observatorium Microbiano dos Acores, das aber bereits geschlossen hat. Es ist eines von sechs wissenschaftlichen Zentren auf den Azoren und widmet sich dem mikrobakteriellen Leben im Bereich der Quellen.

Auf dem Weg zurück zum Zeltplatz komme ich an der von außen und innen hell erleuchtenden Kirche Santa Anna vorbei. Vor dem Gotteshaus sind auf der Wiese und auf dem Platz am Eingang viele Stände aufgebaut, an denen noch zu später Stunde Leckereien der Region zum Essen und Getränke verkauft werden. Die Kinder wuseln hastig rennend zwischen den Buden und Ständen mit den vielen bunten Plastikartikeln und den Süßigkeiten umher. 

Es ist im Ort am Abend ein großes Fest zu Ehren der Heiligen Anna im Gange, die als GroßmutterJesu Christi die Patronin der Mütter, der Ehe, aber auch der Hausfrauen, Armen, Witwen, des Kindersegens und einer Reihe an Berufsständen, wie Schneider und Mueller, ist.

Ich sitze auf der Wiese mit einem Pappbecher Rotwein aus lokaler Produktion in der Hand und erfreue mich mit den vielen anderen Zuschauern an dem bunten Treiben und ganz besonders an den Tänzen der einheimischen Folkloregruppe auf der kleinen Bühne vor der Kirche. Die Darsteller sind ihrer Tradition und den überlieferten Bräuchen treu geblieben, das ist unverkennbar zu sehen.

Am nächsten Tag breche ich frühzeitig auf, um zum Lagoa das Furnas zu wandern. Nach einem langen Marsch durch die engen, verwinkelten Gassen des Ortes und der anschließend stetig bergauf führenden Straße, erreiche ich das Ostufer des großen Sees. Ein Hinweisschild weist mir dort den weiteren Weg zu den Caldeiras, die auch unter der Bezeichnung Fumarolas da Lagoa das Furnas eine der Attraktionen auf der Insel für die Touristen sind. An diesem Ort strömt unaufhörlich Wasserdampf in großen, weißen Fahnen aus dem Inneren der Erde, der stark nach Schwefel riecht. Mit der Energie aus dem Erdreich werden hier die Cozidos das Furnas hergestellt, eine der beliebtesten Speisen auf der Insel Sao Miguel.

Der Cozido das Furnas ist eine einzigartige und besondere Version des portugiesischen Eintopfs. Die Zubereitung des Gerichtes beginnt bereits am Vortag mit dem Zusammenfügen aller notwendigen Zutaten. Noch im Morgengrauen, zwischen fünf und sechs Uhr, werden die Töpfe sorgfältig verschlossen und in die Löcher eingesetzt, die vorher in den Boden gegrabenen worden sind. Mit dem Dampf aus dem Inneren der Erde werden die Zutaten stundenlang langsam gekocht. Diese einzigartige und charakteristische Methode der Kochkunst soll den Lebensmitteln einen unbeschreiblichen Geschmack verleihen. Sechs bis sieben Stunden bis zum Mittag muss gewartet werden, bis die lokalen Restaurantmanager die Töpfe wieder aus den Erdlöchern des Famomos herausholen. Probiert habe ich diese Köstlichkeit nicht, da mir in den Töpfen zu viel Fleisch enthalten ist.

Mein weiterer Weg führt mich entlang des Ufers mit dem angrenzenden Wald zu der neogotischen Kapelle Ermida da Nossa Senhora das Vitoriás an der Südseite des einhundertsechsundsiebzig Hektar großen Sees. José do Canto ließ dieses fotogene Bauwerk 1885 in Frankreich errichten, per Schiff an diesen einzigartigen Ort transportieren und in seiner Parkanlage aufstellen. Darin liegt der Gartenarchitekt und Botaniker mit seiner Frau begraben und muss somit auch nicht den fortschreitenden Verfall der Kapelle verfolgen. Wie die Kapelle ist jedoch auch der See ein trügerisches Idyll. Das wird mir beim Besuch des nahen Überwachungs- und Forschungszentrums, dem Centro de Monitorização e Investigação das Furnas klar, das in einem u-förmigen Quader aus Stein mit seiner fensterlosen Basaltsteinfassade untergebracht ist. Das Zentrum informiert die Besucher mit einem Kurzfilm über die Entstehungsgeschichte des Lagoa, die hiesige Flora und Fauna, die Vulkane und die Geologie sowie über die Projekte, die verhindern sollen, dass der See umkippt und verlandet. In den letzten Jahren, während heißer, trockener Monate im Sommer, stand das Gewässer bereits vor dem Zusammenbruch als es sich gelblich verfärbte und die Wassertemperatur bedrohlich anstieg.

Ein Stück vom Paradies erwartet mich auf dem Rückweg nach Furnas, als ich am Ortsrand im Terra-Nostra-Park ankomme. Es ist eine der schönsten Parkanlagen der gesamten Azoren. Das teichgroße, alte Schwimmbecken in der Nähe des Parkeingangs mit dem warmen Wasser, das konstant eine Temperatur von 38 °C aufweist, ist etwas in die Jahre gekommen. Trotzdem verströmt dieser Ort den Charme vergangener Jahre mit den Besuchen des Geldadels, die aus der ganzen Welt hierherkamen. Schon damals wurden um den Pool Bäume und Pflanzen aus allen Teilen der Erde angepflanzt, die bei ihrem Anblick nicht nur die Herzen von Botanikern höherschlagen lassen. Das Baden in dem braunen Wasser ist nicht nur für mich aufgrund der hohen Temperatur sehr wohltuend, auch wenn das Schwimmen bedingt durch die geringe Wassertiefe nur an manchen tieferen Stellen des Beckens möglich ist. So marschiere ich mit den anderen Badelustigen die meiste Zeit im Kreis und betrachte die grüne Landschaft mit der herrschaftlichen zweistöckigen weißen Villa als Blickfang, die hinter den Bäumen zu sehen ist.  Bei der letzten Umgestaltung des Parks vor dreißig Jahren wurden auf dem Gelände fast zweitausenfuenfhundert Bäume aus Nord- und Südamerika, aus Australien, Neuseeland, China und Südafrika gezählt, die neben endemischen Pflanzen, Azaleen, Rhododendren und diversen anderen exotische Gewächsen hier gedeihen. 

Neben der Villa errichtete 1780 der aus Boston stammende Kaufmann Thomas Hickling auf einem Hügel ein einfaches Sommerhaus, das sich wegen wilder Partys den Spitznamen „Yankee Hall“ erwarb. Die Nachbesitzer beauftragten ausländische Gartenbauer von internationalem Rang mit dem Ausbau und der Pflege der Parkanlage. Später wurde das Hotel Terra Nostra hinzugebaut. Noch heute sind der Park und der Pool im Besitz des Hotels. 

Am nächsten Tag fahre ich mit dem Auto auf der kurvenreichen, ständig ansteigenden Bergstraße von Furnas über das Gebirge des Salto do Cavalo an die Nordküste. Die Straße führt durch dicht bewachsene Wälder, vorbei an grünen Weiden und kleinen Gehöften, hoch hinauf zum höchsten Punkt des Berges auf achthundertfünf Meter über dem Meeresspiegel. Von diesem Punkt aus kann ich das weitläufige Tal von Furnas, das in einem riesigen Vulkankrater liegt, am besten überblicken. Es sind für mich einzigartige Momente, das wechselnde Spiel von Licht und Schatten in dem Tal hautnah zu erleben, das durch die vorbeiziehenden Wolken und die ab und zu hervorscheinenden Sonnenstrahlen entsteht. 

Auf der Fahrt hinab vom Salto do Cavalo führt die Bergstraße in die Kleinstadt Salga in der Nähe der Küste im Norden der Insel. Weiter in Richtung Osten reihen sich viele kleine Fischerdörfer an die Landstraße hoch über den Klippen der Steilküste, in deren Nähe sich oft gepflegte Picknickplätze zwischen Blumenbeeten und Aussichtspunkten befinden, von denen die steil abfallende Küste und dem blauen Ozean als Postkartenmotive zu erleben sind.

Das Landesinnere ist geprägt durch eine bergige, bewaldete, grüne Landschaft mit vielen Bächen und Wasserfällen. Ein touristisches Highlight in dieser Region ist der Naturpark Ribeira dos Caldeirões, der aus einem Projekt zur Aufwertung der Landschaft entstand. Der kurze Wanderweg in dem Park führt entlang von Beeten mit blühenden Blumen, vorbei an fotogenen Wasserfällen und einer alten Wassermühle aus der Antike, in der die Geschichte und das damalige harte Leben während des Betriebes anhand von Schautafeln und historischen Fotos dokumentiert sind. Am Ende des Rundgangs durch das Tal kommt der Besucher unweigerlich an dem Laden für Kunsthandwerk und an einem Café vorbei, um dort bei Kaffee und Kuchen die Bilderbuchidylle noch einmal von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten. 

Die weitere Route entlang der Ostküste von der Stadt Nordeste bis in die Ortschaft Povoação lädt immer wieder zum Stopp an den vielen ausgeschilderten Aussichtpunkten an der Schnellstraße ein, um die unzähligen grandiosen Ausblicke hoch über der steil abfallenden Küste mit der Handykamera festzuhalten. 

Beim Autofahren höre ich mir den Podcast über die Geschichte und die Hintergründe der Kokainschwemme an, die in einer Sturmnacht im Juni 2001 in dem Fischerdorf Rabo de Peixe im Süden der Insel Sao Miguel hereinbrach. Gespannt verfolge ich den unglaublichen Schilderungen im Radio, die in diesen Momenten für mich so gut zu dieser Region passen, da das Geschehene nicht allzu weit entfernt von meinen Aufhaltsorten passierte. 

In jener stürmischen Juninacht geriet eine Segelyacht aus Venezuela kommend vor der Küste von Rabo de Peixe in Seenot. Am Steuer des manövrierunfähigen Bootes stand der sizilianische Drogenhändler Antonio Quinzi, der fünfhundert Kilogramm Kokain in ziegelsteingroßen Paketen an Bord hatte, die er während des Sturmes in einer nahegelegenen Höhle an der Steilküste, in Netzen und mit Ketten gesichert, versteckte. Nach der angedachten, späteren Reparatur des Segelschiffs wollte er die für ihn teure Fracht, die damals einen Wert von vierzig Millionen Euro hatte, wieder abholen. Aufgrund der gewaltigen Kraft des Ozeans brachen jedoch die Verankerungen, mit denen die Ladung gesichert war, wodurch die Pakete mit dem Kokain wegtrieben und schließlich an der Küste des Fischerdorfes angespült wurden. 

Ohne den wahren Inhalt des Strandgutes zu kennen, nahmen die neugierigen Einheimischen die Pakete in Besitz und verwendeten das Kokain fälschlicherweise als Mehl zum Frittieren von Speisen oder als Zucker zum Süßen von Desserts. Das weiße Pulver wurde sogar genutzt, um die Linien auf dem Fußballfeld zu markieren. 

Die schlimmen Folgen des Kokainkonsums ließen nicht lange auf sich warten, sodass der örtliche Gesundheitsdienst schon bald mit schweren Fällen einer Überdosierung konfrontiert war. Das Kokain, das ursprünglich für Palma de Mallorca bestimmt war und einen höheren Reinheitsgrad aufwies als auf dem Schwarzmarkt üblich ist, führte schließlich zu einem Chaos in Rabo de Peixe, bei dem drei Menschen an einer Überdosis starben und viele Einwohner noch heute an den Spätfolgen des Drogenmissbrauchs zu leiden haben. Nicht nur sie können sich jetzt diese wahre Geschichte in der Serie von Augusto Fraga bei Netflix anschauen, die im letzten Jahr unter dem Titel „Turn of the Tide“ erstmalig im Pay-TV ausgestrahlt wurde.   

Mein letzter Tag auf der Insel Sao Miguel führt mich am Morgen von Furnas vom Zeltplatz an die Nordküste zu den beiden einzigen Teeplantagen Europas in der Nähe der gemütlichen Kleinstadt Maia. Der Teeanbau war früher ein wirtschaftlicher Hauptzweig der Insel mit einem dafür notwendigen idealen Mikroklima. Mit dem zweiten Weltkrieg wurden jedoch die Schiffsverbindungen zu den Abnehmerländer größtenteils unterbrochen, sodass der Anbau fast vollständig zum Erliegen kam. 

Bei meinem Besuch der Plantações de Chá Gorreana als eine dieser letzten Plantagen von den ehemals zweiundsechzig Gärten auf der Insel erfahre ich viel über den Anbau von Tee und den dazugehörigen Geschichten. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurde hier erstmals Tee angebaut, nachdem die Orangenplantagen durch eine auf der Insel grassierende Wurzelfäule und Pilzbefall zerstört worden waren. Die Pflanzen und das zugehörige Know-how zur Weiterverarbeitung der Blätter kamen über die ehemalige portugiesische Kolonie Macao aus China. 

Mein einstündiger Streifzug durch die weiträumige Teeplantage beginnt an dem flachen, weißen Gebäude der Teefabrik mit dem Namen Chá Gorreana, das mit seinen großen, roten Buchstaben über den Eingang nicht zu übersehen ist. Der Pfad durch die Teepflanzen führt stets nach oben auf eine bewaldete Anhöhe, von der die gesamte, prächtige Anlage und der angrenzende blaue Ozean gut zu sehen ist. Unterwegs treffe ich auf Teepflücker, die in kleinen Gruppen im hüfthohen Gebüsch unterwegs sind und in Windeseile nur die obersten Blätter pflücken, in denen das ganze Teearoma enthalten ist. Wie ich von Besuchen anderer Teeplantagen in Asien weiß, ist das eine sehr anstrengende Arbeit, da die Arbeiter jeden Tag Wind und Wetter ausgesetzt sind. 

In der Teefabrik wird ein schwarzer, grüner und mittelfermentierter Tee mit den immer noch funktionierenden Maschinen produziert, die bereits seit 1883 in der Anfangszeit des Teeanbaus zum Einsatz kamen. Viele dieser Aggregate haben bislang ohne aufwändige Reparaturen durchgehalten und laufen auch heute noch mit gleichbleibender Funktion. Nach dem künstlichen Trocknungsprozess, bei dem die Blätter rund dreißig Prozent ihrer Feuchtigkeit verlieren, werden die Blätter einzeln gerollt. Dabei öffnen sich die Zellwände und die Blätter verlieren ihre bitteren Geschmacksstoffe. In dem Raum, wo der Tee in Tüten für den Verkauf abgepackt wird, unterhalte ich mich mit einer jungen Angestellten, die in monotonen, ständig wiederkehrenden Bewegungen bis zu dreihundert Tüten Tee am Tag abfüllt. Einzig die Musik aus dem kleinen Radiorekorder auf dem Tisch vor ihr bringt etwas Abwechslung in ihren Arbeitstag. Im Vergleich zu dem Tee aus China oder Indien weisen die Produkte von den Azoren weniger Gerbsäure auf, was ihn bei Teekennern sehr beliebt macht. Der Großteil der jährlichen Produktion wird auf den Inseln der Azoren vertrieben und nur ein kleiner Teil geht ins Ausland, wie zum Beispiel nach Deutschland, wo er als Bio-Tee vermarktet wird. 

Von der Teeplantage geht die Fahrt weiter zu der Ananasplantage von Augusto Arruda in Faja de Baixo, einem Vorort von Ponta Delgada, der Hauptstadt von Sao Miguel. 

Dort wächst in Gewächshäusern die Ananasfrucht in zwei Jahren heran, bevor sie geerntet werden kann. Das ist ein sehr arbeitsintensiver Prozess, den ich vor Ort erleben darf. Bei meinem Besuch streichen zwei Arbeiter die Glasdächer der Gewächshäuser mit weißer Farbe an, um eine zu hohe Aufheizung im Inneren der Glashäuser durch die Sonne zu verhindern. Nirgendwo sonst auf der Welt, wird die Ananas in Gewächshäusern angebaut. Die Farbe wird später im Herbst bei den dann öfters einsetzenden Regenfällen wieder abgespült. Interessant für mich ist der geschichtliche Hintergrund zum Anbau und dem Verzehr der Ananas. Diese Pflanze wurde bereits im 16. Jahrhundert von den Seefahrern an den Palästen der Fürsten eingeführt. Dort wurde das Gewächs als Zierde in den Gärten sehr wohl geschätzt. Die Seeleute vergaßen jedoch beim Überbringen der Mitbringsel den einzigartigen süßen Geschmack der Frucht zu erwähnen. So wurde erst im 18. Jahrhundert, mit der weitläufigen Einfuhr der Ananas aus Südamerika, dass mit dem Verzehr der Frucht verbundene Geschmackserlebnis erkannt und wertgeschätzt. 

Die Ananas von den Azoren gibt es in der Regel nicht bei den Discountern in Europa zu kaufen, weil die Einfuhr der Frucht aus Südamerika billiger ist. Der deutliche Unterschied im Geschmack kann daher nur hier vor Ort auf den Azoren erlebt werden. 

Beim Erleben der notwendigen Arbeitsschritte zum Anbau, der Pflege und der Ernte derartiger Produkte, wie Tee und Ananas, wird mir wieder bewusst, wie hart viele Menschen für ihren täglichen Lebensunterhalt arbeiten müssen, während andere ein Vielfaches mehr verdienen, indem sie morgens in den klimatisierten Büros ihre Laptops öffnen und die Befehle zum Steuern, Regulieren per Tastatur eingeben. 

Nach der Besichtigung der Ananasplantage heißt es für mich Abschied zu nehmen von Sao Miguel, dem grünen Paradies. Am Nachmittag wird mich ein Flugzeug der Azores Airlines in den äußersten Westen des Archipels auf die Insel Flores bringen. 

Wanderungen auf Sao Miguel:

  • Entlang im Tal des Ribeira zum Lagoa do Fogo, 11,3 km, 600 Hm, 3:45 Std. Ein langer Aufstieg zu einem traumhaften Kratersee.
  • Um den Lagoa das Furnas, 9,9 km, 180 Hm, 3:00 Std. Von Furnas um das beliebteste Ausflugsziel der Insel.
  • Cha Gorreana, 3,3 km, 190 Hm, 1:10 Std. Ein wunderschöner Weg durch eine von zwei noch in Europa befindlichen Teeplantagen mit anschließender Teeverkostung. 

Die Insel Flores, ein Meer aus Blumen am Ende der Welt

Flores ist eine kleine Insel und trägt ihren Namen nicht umsonst, denn auf Flores grünt und blüht es an allen Ecken und Enden in einer aufregenden, abwechslungsreichen Landschaft. Nirgendwo sonst auf den Azoren ist die Natur so üppig und auch nirgendwo sonst regnet es soviel. Das Eiland liegt westlicher als alle anderen Inseln der Azoren und ist der vorletzte Außenposten Europas (nur die kleine, unbewohnte Felseninsel Monchique liegt noch westlicher). Danach kommt nur noch das Wasser des Atlantiks und dann irgendwann Amerika.

Willkommen in Santa Cruz das Flores 

Mein neues Zuhause auf der Blumeninsel liegt direkt am Atlantik in Santa Cruz das Flores, der Hauptstadt der Insel Flores. Die Verkehrsanbindung im äußersten Westen Europas ist für mich optimal, denn vom Flugplatz bis zu meinem Zeltplatz sind es nur fünf Minuten zu Fuß. Allerdings kommen in Santa Cruz das Flores nur zweimal in der Woche Flugzeuge an. Das scheint für die hier dauerhaft lebenden Insulaner und die vorwiegend im Sommer ankommenden Touristen ausreichend zu sein. Für die Gäste aus allen Teilen der Welt ist der gut gepflegte Zeltplatz kostenfrei nutzbar, was für mich ein Novum ist. 

Die Einheimischen kennen sich alle persönlich per Namen, so scheint es mir. Denn bei den auf der Dorfstraße an mir vorbeifahrenden Autos grüßen die Fahrer die ihnen bekannten Fußgänger mit ausufernden Arm- und Handbewegungen. Ein alltägliches Ritual, was sich im Minuten-Takt wiederholt. 

Erlebnisreiche Tage auf der Blumeninsel

Ereignisreiche Tage müssen nicht zwangsläufig nur in den Megastädten stattfinden. Selbst auf einer so kleinen Insel wie Flores am Ende der Welt passiert so einiges, insbesondere in den wärmeren Sommermonaten, wenn die Tage länger sind.

Obwohl die Insel mit einhundertvierzig Quadratkilometer etwa der sechsfachen Größe von dem Flughafen in Frankfurter entspricht, auf der dreitausendsiebenhundert Einheimischen leben, wird auch auf Flores gerade während dieser Zeit viel gefeiert. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird ein großes Fest veranstaltet. So auch während meines Aufenthaltes, bei dem der Sportverein der Hauptstadt den Jahrestag der Gründung fünf Tage lang zelebriert. 

Die Festlichkeiten werden am Nachmittag mit einem zünftigen Fußballturnier im einzigen Stadion der Insel eröffnet, das sich gleich neben der Hauptstraße befindet. Junge, talentierte, pfeilschnelle Spieler treffen auf die älteren Fußballer, die Schwierigkeiten haben, ihrem hohen Tempo zu folgen. Das Ergebnis nach dem Sieg der Juniorenmannschaft ist für alle eine Nebensache. Freudig auf das Kommende bei dem Fest klatschen sich die Spieler noch vor dem Gang in die Umkleidekabinen auf dem Spielfeld mit den Händen ab. 

Auf dem Gelände vor dem Spielfeld stehen viele Buden und Zelte zum Kauf von Getränken und von Köstlichkeiten zum Verzehr. Eine große Bühne wurde an dem Parkplatz vor dem Stadion errichtet, wo später am Abend lokale und in Portugal bekannte Interpreten nacheinander auftreten. Getrunken und gegessen wird auf Flores sehr, sehr viel. Zumeist Hochprozentiges und Kalorienreiches, was sich auch an den üppigen Hüften der älteren Einheimischen erkennen lässt. Da sich die Bewohner von Flores alle persönlich gut kennen, haben die drei anwesenden Polizisten bei dem Fest keine Mühe, ihren Dienst ohne Aufregungen zu absolvieren. Sie haben nichts weiter zu tun als das bunte Treiben vom Straßenrand aus wohlwollend zu beobachten. Nach Dienstschluss mischen sie sich selbst unter die noch feiernde Dorfgemeinschaft. 

Die ausgewählten Höhepunkte an den nächsten Tagen der Feierlichkeiten sind die Auftritte der unterschiedlichsten Volkskunstgruppen, die für ihre bunten musikalischen Darbietungen und den vielfältigen Tänzen auch von den Nachbarinseln gekommen sind. Selbst aus den USA und Kanada sind viele ehemalige Bewohner der Gemeinde und ihre Nachfahren extra zu dieser Feier angereist, um an den Paraden entlang der Hauptstraße teilzunehmen. Es ist für sie auch das Fest der Auswanderer. Bedingt durch die Armut im 19. Jahrhundert, die vielen Naturkatastrophe und dem damit verbundenen Hunger unter der Bevölkerung suchten viele ihr Glück in der neuen Welt. In der Hoffnung auf bessere Zeiten bestand bereits zuvor eine enge Bindung für viele von ihnen als Tagelöhner zu den amerikanischen Walfängern, die Jagd auf die Meerestiere im Atlantik machten. Zwischen den siebziger und achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts nahm die Bevölkerung auf den Azoren um fünfzehn Prozent auf 240,000 Bewohner ab. Doch die starke innere Bindung zu den Orten ihrer Heimat, die sie als die Schönsten auf der ganzen Welt betrachten, ist geblieben. 

Das scheinbar entspannte Leben auf Flores ist hauptsächlich der segensreichen Förderung durch die EU zu verdanken. Was nicht immer so war. Noch in den sechziger Jahren kam das Mobiliar in vielen Wohnungen der Insulaner von den hier gestrandeten Schiffen. Über siebzig große Schiffe liegen vor Flores auf dem Meeresgrund. Für mich ist es sehr spannend beim Lesen über die Geschichte der Insel an den Schautafeln in dem örtlichen Museum zu erfahren, dass erst mit der Ladung eines gestrandeten französischen Handelsschiffs am Ende des 19. Jahrhunderts der Zucker flächendeckend auf Flores bekannt wurde. Bezahlen konnte dieses Luxusgut sowieso keiner, denn bis etwa 1912 gab es quasi kein Geld auf der Insel. Vielmehr wurden die Geschäfte im Tausch von Waren abgewickelt. Ob sich diese geldfreie Epoche in naher Zukunft in unserer Gesellschaft wiederholen wird? Höchstwahrscheinlich nicht, aber es ist für mich gut zu wissen, dass es so ein funktionierendes Wertesystem vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gab. 

Neben dem Plündern von gestrandeten Schiffen gab es auf Flores noch ein weiteres gut florierendes Geschäft, das mit der Tötung der Wale zu tun hat, die sich vor den Azoren fast das ganze Jahr über aufhalten. Noch bis 1994 war der Fang der Säugetiere eine äußerst lukrative Angelegenheit, bei dem die einzigartigen Tiere komplett in einer Fabrik am Hafen industriell verwertet wurden. Im Durchschnitt wurden jährlich etwa einhundert Wale getötet und industriell verarbeitet. Das daraus gewonnene Öl wurde direkt aus der Fabrik in Pipelines in die Schiffstanker befördert, die vor der Küste ankerten. 

Heutzutage werden solche schlimmen Geschäfte nicht mehr gemacht. Vielmehr hat sich die Insel zu einhundert Prozent auf den Tourismus eingestellt oder wartet auf die nächsten Zuwendungen durch die europäischen Steuerzahler. 

Für die Touristen ist die Insel Flores ein wahres Wanderparadies, weil hier die ursprüngliche Natur nahezu vollständig erhalten geblieben ist. Einen der vielen Eindrücke davon konnte ich auf der anspruchsvollen Klippenwanderung von Fajas Grande nach Ponta Delgada im Westen der Insel erleben. Vom Hafen der ehemaligen Hauptstadt führt ein schmaler Pfad hoch hinauf auf ein Bergplateau. In dem mitgenommen Wanderführer steht, dass eine Umkehr auf halbem Weg nicht empfohlen wird, weil die Blicke hinab zu dem tosenden Meer Schwindelgefühle erzeugen würden. Ganz so herausfordern, wie in dem Buch beschrieben, ist die Wanderung dann doch nicht. Im Nachhinein bin mir auch nicht sicher, ob der Autor diese Tour der Kategorie schwarz auch wirklich gelaufen ist oder die Beschreibungen zur Route von anderen Quellen übernommen hat. Zumindest wurde der Rückweg nach einer Wanderung von dreizehn Kilometern vom Zielort in Ponte Delgada zum Parkplatz am Ausgangspunkt in dem Buch nicht beschrieben. Dieser Rückweg ist aber logistisch nicht einfach durchzuführen, denn ein direkter Bustransfer zwischen den Orten gibt es nicht. Zu meinem Glück kannte die äußerst sympathische Wirtin Monika von der einzigen am dreihundert Seelen Örtchen befindlichen Dorfschänke einen Aushilfsfahrer, der mich für vierzig Euro die dreizehn Kilometer zurückfuhr. Der Gelegenheitsfahrer Silvio ist ein waschechter Portugiese vom Festland, der auf Flores für eine staatliche Baufirma zehn Jahre lang gearbeitet hat, bevor die Kündigung von seinem Arbeitgeber kam. Ohne eine Chance auf einen neuen Job mit Anfang fünfzig ist er trotzdem mit seiner Frau auf Flores geblieben und verdient sich sein Geld mit Taxifahren und mit der Vermietung von Ferienwohnungen an Touristen. 

Die Fahrt über die Insel mit den fantastischen Ausblicken auf die einzigartige Natur ist traumhaft und für mich unvergesslich. Überall sind unterschiedliche Blumen zu entdecken, die den Namen der Insel zu Recht gegeben haben. Ein wahres farbiges Feuerwerk der Natur. Darüber hinaus gibt es auf Flores etwa fünfzig endemische Pflanzen, die nur hier auf diesem fruchtbaren Landstrich gedeihen. 

Am Abend werde ich Silvio und seine Frau in Santa Cruz das Flores bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sportvereins wieder treffen. Wir sitzen zufällig nebeneinander an der langen Tafel mit den weißen Tischtüchern beim Essen, dass die Gemeinde für die Einheimischen vorbereitet und bezahlt hat. Es gibt Fischsuppe mit Brot, Fleisch mit Kartoffeln und Rotwein zum Trinken. Ob er denn keine Angst vor der Polizei hat, wenn sie ihn bei seiner Rückfahrt nach Hause nach Ponta Delgada zufällig bei einer Alkoholkontrolle stoppen , frage ich Silvio. „Kein Problem“, sagt er und stößt mir mit seinem Weinglas freudig zu, „die Polizisten sind meine Mitspieler in der Fußballmannschaft, wir kennen uns“. 

Wanderungen auf Flores:

  • Faja do Conde, 6,7 km, 330 Hm, 2:00 Std. Ein Ausflug zu einer verlassenen, einer der ältesten Siedlungen der Insel.

  • Von Faja Grande nach Ponta Delgada., 12 km, 600 Hm, 4:20 Std. Eine der schönsten Wanderungen auf den Azoren. Von der Westküste in den abgelegenen Norden der Insel. (Für die Rückfahrt zum Ausgangspunkt am besten nach dem Taxifahrer Silvio in der einzigen Bar von Ponta Delgada fragen). 
  • Vom Lagoa Comprida nach Faja Grande, 7,3 km, 180 Hm, 3 Std. Auf uralten Pfaden und steilen Abstiegen durch die Felsen von Faja Grande.

Die Insel Corvo, klein, kleiner, am kleinsten

Mit einer Fläche von gerade einmal siebzehn Quadratkilometern ist Corvo die kleinste Insel der Azoren. Corvo war wegen der isolierten Lage für die Entdecker und später die Siedler nicht attraktiv genug, so dass erst ab dem 16. Jahrhundert nur wenige Bauern und Hirten auf diesem Eiland ansässig wurden. Rund zweihundert Jahre später nutzten Freibeuter die Insel als Unterschlupf und für die Reparatur ihrer Schiffe. Als Gegenleistung dafür wurde den Insulanern Schutz gewährt. Ab und zu erhielten sie auch das eine oder andere Stück von dem Erbeuteten. Die Freibeuter und später die Walfänger verschwanden wieder, geblieben ist die Ruhe und die Gemütlichkeit als das Markenzeichen der Insel. Auf Corvo sind die Einheimischen untereinander vertraut, jeder kennt jeden persönlich. Gearbeitet und gelebt wird von der Viehzucht mit den vielen Rindern und Schweinen sowie vom Ackerbau. 

Du willst entschleunigen, endlich mal von dem ganzen Stress des Alltags loslassen und deinen inneren Frieden in der Natur finden? Dann bist du auf Corvo, der kleinsten Insel des Archipels der Azoren im Atlantik genau richtig. Viele Beschreibungen von dem Leben auf diesem einzigartigen Eiland beginnen mit dem Superlativ „Kleinst(xx)“. 

Um auf der Insel der Tiefenentspannten anzukommen, bedarf es vorher noch einer (manchmal) sehr turbulenten und stürmischen fünfundzwanzig kilometerlangen Überfahrt von der gegenüberliegenden Insel Flores. Besonders der erste Teil der Bootstour aus dem Hafen von Santa Cruz das Flores lässt mich an Fahrten mit der Achterbahn in einem Vergnügungspark erinnern, da die kurzen und starken Meereswellen das Boot immer wieder durcheinanderwirbeln. 

Doch der erfahrene Kapitän unsers Bootes weiß damit umzugehen. Er spürt auch sofort, wonach der Sinn der zahlenden Mitfahrenden steht. Sie wollen Ruhe und eins sein mit der Natur. Und so steuert er bewusst das Gebiet im offenen Atlantik an, wo vermutlich an jedem Tag die Delfine vorbei schwimmen, ja sogar manchmal im gemeinsamen Spiel mit dem Boot etwas aus dem Wasser des Ozeans herausspringen. Für mich stellt sich spätestens in diesem Moment die Frage, warum es auf dem Festland Delphinarien gibt. Die Antwort auf diese Frage ist für mich eindeutig: Abschaffen. 

Nach zwei Stunden Meeresfahrt wird einer der kleinsten Häfen, in einer der kleinsten Städte, auf einer der kleinsten bewohnten Inseln auf der Erde angesteuert. 

Willkommen auf der Insel Corvo, in der überschaubaren Stadt Vila Nova, die von den Einheimischen einfach nur so genannt wird, wie die Insel. Seit 2007 ist die Insel UNESCO-Biosphärenreservat.

Viel Zeit zum Akklimatisieren bleibt mir nicht, denn schon befinde ich mich in einem der vier am Hafen wartenden Sammeltaxen, die uns Tagestouristen in fuenfunddreissig Minuten zu der einzigen Sehenswürdigkeit bringen werden, zu dem Krater des Vulkans Caldeirão do Corvo, indem sich die gleichnamige Lagune befindet. 

Auf der Fahrt dorthin fasst der Inhaber der Großraumlimousine Carlos im gebrochenen Englisch und einem fast nicht mehr zu folgendem Sprechtempo die wichtigsten Fakten über die Insel zusammen: 

„Größe 17 km², Länge bis zu 6 km, maximale Breite 3,8 km, 421 Einwohner, 42 Schulkinder, die von 21 Lehrern unterrichtet werden, 374 Autos, die mit dem Benzin fahren, das aus den 100.000 Liter fassenden staatlichen Tanks gezapft wird, 991 Rinder verschiedener Rassen“.

Logisch, hier kennt jeder jeden und jeder weiß über den anderen Bescheid. Daher sind auch die Häuser und Wohnungen nicht verschlossen. Warum auch, Kriminelle gibt es auf Corvo nicht. Ein Dieb hätte keine Chance unentdeckt zu bleiben.

Die beiden letzten großen Ereignisse auf Corvo, die sogar als Randnotizen in den portugiesischen Medien erwähnt wurden, waren der Schneefall im Februar 2019 und der Besuch des weltberühmten Streetart Künstlers Bordalo II vom Festland im September vor zwei Jahren, dessen gesprühten farbigen, großformatigen Bilder an der Betonwand der Hafenmole inzwischen durch dort abgestellte Transportcontainer verdeckt werden.

Im Ort gibt es nur eine längere, geteerte Straße, die in das Hochland hinausführt und auf der die Stadtjugendlichen ihre frisierten Mofas täglich bis zur Leistungsgrenze austesten. Die Hälfte der Einwohner im arbeitsfähigen Alter hat etwas mit der Landwirtschaft zu tun. Kein Wunder, denn die Anzahl der Rinder ist mehr als doppelt so hoch. Die stattlich anzusehenden Tiere grasen überall auf den grünen Weiden, um später vornehmlich als Steaks in den Bratpfannen zu landen. Das große Geld verdienen die Farmer damit nicht. Wie Carlos anmerkt, liegt der monatliche Verdienst der Einheimischen unter neunhundert Euro. 

Die andere Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist in der Stadtverwaltung angestellt und hat ein besseres Einkommen. Carlos hat einmal ausgerechnetdass es für den Staat billiger wäre, alle Einwohner von Corvo auf Lebenszeit in einem der besten Hotels in Lissabon einzuquartieren, anstatt eine funktionierende Infrastruktur auf der Insel Jahr für Jahr am Laufen zu halten. Kaum zu glauben, aber dafürspricht, dass alle Produkte, von der Ananas bis zur Zeitung, mit dem Schiff oder dem Flugzeug aus Portugal angeliefert werden müssen. 

Der Flughafen, der im Jahr 1993 fertiggestellt wurde, hat den Insulanern das Tor zur Welt geöffnet. Noch in den Anfangsjahren der Sechziger des letzten Jahrhunderts hätte es auf der Insel für den Betrieb in diesem Gebäudekomplex keinen elektrischen Strom gegeben. Das ganze Gelände ist mit einem Drahtzaun abgesichert, um hauptsächlich die Rinder der Insel davon abzuhalten, die Rollbahn zu überqueren. 

Die Jugendlichen von Corvo nutzen den Flughafen, um ihr Glück woanders in der weiten Welt zu suchen, denn auf Corvo haben sie nur wenige Perspektiven für eine Berufsausbildung. 

Als Neubürger kommen im Gegenzug ehemalige Insulaner an, zumeist aus den Vereinigten Staaten, um jetzt für immer zu bleiben. Im fortgeschrittenen Alter besinnen sie sich auf das Gefühl in einer stabilen, friedlichen und vertrauten Gemeinschaft zu leben, in der man sich gegenseitig hilft. 

Mit so vielen detaillierten Informationen erreichen wir schließlich das Ziel unserer Tour mit dem Sammeltaxi. Carlos macht uns Mitfahrenden noch einmal besonders bewusst, dass heute ein Glückstag ist, da die ganze Landschaft ungetrübt wahrgenommen werden kann und nicht wie die meiste Zeit im Jahr in dicken Wolken verhangen ist.

Die Landschaft in dieser Region besteht aus einem erloschenen, rund zwei Millionen Jahre alten Vulkan, der einen zwei Kilometer weiten und dreihundert Meter tiefen Krater gebildet hat. Auf dessen Grund liegt ein See mit mehreren Inseln. Am Südrand des Kraters befindet sich mit siebenhundertachtzehn Metern die höchste Erhebung der Insel, die in der Übersetzung aus dem Portugiesischen als die Höhe der Menschen bezeichnet wird. Beeindruckend finde ich die vielen Grüntöne der Weiden an den Kraterhängen, die von den Rindern abgegrast werden. 

Von diesem magischen Ort, der nicht nur für mich zu einem der schönsten bei einer Reise auf den Azoren zählt, beginnt der Abstieg in den Riesenkrater. Aufgrund der mir nur begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit bis zur Abfahrt des Schnellbootes zurück nach Flores, entscheide ich mich für die Route, die vom Caldeiro direkt in die Stadt nach Corvo führt. Das ist eine sehr einfache Wanderung, bergab auf der geteerten Zufahrtsstraße, bei der ich ständig die Hauptstadt der Insel am Meer im Blick habe. 

Nur im unteren Drittel der Tour geht es über saftige, grüne Wiesen mit kleinen Gattern aus Holz und über Mauern, die bestimmt vor Urzeiten von Menschenhand mit den Steinen der Insel aufgeschichtet wurden. Was für eine Leistung für die Ewigkeit!

Manchmal versperren mir die riesengroßen, kräftigen Rinder den schmalen Pfad. Ganz ungefährlich ist die Situation nicht, wie ich von den Erlebnisberichten der Wanderer in den bayerischen Alpen gelesen habe, die den anstürmenden Kühen nur mit Mühe entkommen konnten. Doch nach meinem anfänglichen Zögern beim Weitergehen, geben mir die Tiere den Weg frei. 

Nach weniger als drei Stunden schnellen Schritts bin ich schon wieder in der Altstadt von Corvo mit den engen Gassen und den dicht am Hang gebauten, einfachen Steinhäusern. Viele der Gebäude sind verlassen. Mit dem Einsturz der Dächer hat der Verfall der Häuser schon längst begonnen und ist nicht mehr aufzuhalten. In den bewohnten Behausungen im Zentrum sind im Innenhof Schweineställe und teilweise kleine Anpflanzungen mit Mais zu sehen. 

Zum Abschluss der Tour kehre ich in die einzige Bar des Ortes in der Nähe des Hafens ein. Der Wirt bemerkt mein Ankommen zunächst nicht, weil er allein in der Küche und ganz vertieft mit der Zubereitung von Burgern beschäftigt ist. Die müssen sehr köstlich schmecken, denn er produziert diese gebratenen Fleischscheiben im Akkord.

Ich hocke mich draußen an den Tisch mit den Sonnenschirmen, die von der omnipräsenten portugiesischen Biermarke Sagres gesponsert wurden. Neben mir sitzen die Corvinus, wie sich die Einheimischen nennen. Es ist ein Abbild der hier im Ort lebenden Menschen, die ich während meines kurzen Aufenthaltes auf der Insel im Vorbeigehen sehen konnte: der Fußballfan vom FC Porto, zwei junge Frauen mit Tätowierungen, wohin das Auge reicht, die Oma von nebenan und das Bob Marley Imitat. Ihnen allen gemein ist, dass sie ihr Bier aus den Miniflaschen trinken, immerfort rauchen und es sich einfach gut gehen lassen. 

Am Hafen treffe ich zufällig wieder auf Carlos, der dort mit seiner Frau und seiner Mutter steht, um den Tagestouristen vor der Abfahrt nach Flores noch etwas zu verkaufen. Seine Frau kommt aus Brasilien, wie er mir erklärt. Sie sieht im Vergleich zu ihm äußerst jung aus, so dass sie auch seine Tochter sein könnte. An ihrem Stand möchte sie mir Magnete mit dem Foto des Vulkankraters verkaufen, mit denen Zettel an der Vorderseite der Kühlschranktür angeheftet werden können. Die Mutter von Carlos, eine Frau mit weißen Haaren und vielen Lebensfalten im Gesicht, zeigt mir ihre Erfindung aus Holz, die sie eigenständig hergestellt hat. Diese Bastelarbeit, die an eine Wohnungstür angebracht werden kann, soll einen Türgriff beim Herunterdrücken von außen blockieren. Damit kann kein Fremder unerlaubt in die Wohnung eintreten. Scheinbar ist der innere Frieden auf der Insel, der den Touristen bei ihrem Besuch vermittelt wird, doch nicht so stabil. Sonst hätte die ältere Dame nicht so viel Aufwand bei der Holzverarbeitung betrieben. Da ich den Mechanismus von dieser Barriere nicht sofort verstehe, bitte ich Carlos um eine Erklärung. Aber auch er kann mir nicht den „Magic Effect“ deuten. Also spende ich ihm und seiner Familie keinen Euro, denn ich habe bereits bei der Fahrt zum Caldeirão do Corvo einen zusätzlichen Solidaritätsbeitrag für das Weiterleben auf der Insel entrichtet. 

Viel Zeit bleibt mir auf Corvo nicht mehr. Am Hafen wartet schon das Schnellboot für die Abfahrt nach Flores. Auch wenn ich nur einen Tag auf der Insel sein konnte, so war es für mich ein unvergessliches Erlebnis. Um das Leben auf Corvo wirklich zu verstehen, bedarf es jedoch mehrere Tage des Aufenthaltes auf der kleinsten Insel der Azoren und Europas. 

Wanderung auf Corvo:

  • Vom Caldeiro nach Vila Nova, 7 km, 130 Hm, 2:30 Std. Abstieg querfeldein vom Riesenkrater, immer mit den Panoramablicken im Gepäck.

Die Insel Faial, das blaue Eiland 

Faial im Zentrum des Azoren-Archipels wurde 1427 entdeckt und vier Jahre später von häufig aus Flandern stammenden Einwanderern besiedelt. Das Eiland nimmt eine Fläche von einhundertzweiundsiebzig Quadratkilometern ein und zählt somit zu den kleineren Inseln auf den Azoren. In unmittelbarer Nachbarschaft, und nur durch einen etwa acht Kilometer breiten Meeresarm getrennt, befindet sich die Insel Pico mit dem Ponta do Pico (2351 m) als dem höchsten Berg der Azoren. 

Faial wird auch als die blaue Insel bezeichnet, weil hier so viele Hortensien in der Farbkombination blauweiß blühen. Mit einer Länge von einundzwanzig und einer maximalen Breite von vierzehn Kilometern lässt sie sich gut an einem Tag auch mit dem Rad auf einer sechzig Kilometer langen Strecke umrunden.

In der Hauptstadt der Insel, in Horta, gibt es dafür ein geeignetes Mountainbike, was ich mir in dem Geschäft „Al Bike“ ausleihe.

Vom Shop geht es im Shuttlebus hinauf bis zur höchsten Erhebung der Insel, den Vulkankrater, die mächtige Caldeira. Dieser Service spart Zeit, die sonst für das Hinaufradeln auf eintausend Meter benötigt werden würde. 

Unterwegs unterhalte ich mit Decio, dem Fahrer des Transporters. Er hat mit seinem Bruder den Bike Shop vor drei Jahren eröffnet. Besonders in der Saison von Juni bis September werden die Räder fast täglich von den Touristen gemietet. Doch in der Zeit danach ist nicht viel für die beiden zu tun. Es ist kein einfaches Business, wie er mir erzählt, da jede Anschaffung wohl überlegt sein will. Seine potenziellen Kunden fragen immer öfters nach E-Bikes, die jedoch beim Kauf und der Reparatur teurer sind als gewöhnliche Mountainbikes. Alle benötigten Komponenten müssen per Schiff und Flugzeug angeliefert werden. Für uns Touristen scheint ein Leben auf dem blauen Eiland im Atlantik romantisch zu sein. Für die Einheimischen jedoch, insbesondere für die der jungen Generation, sind die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung beschränkt. Selbst eine mehrtägige Reise auf das Festland in die großen Städte will lange vorher geplant sein. Demnächst möchte Decio trotzdem eine Tour nach Porto unternehmen, um die Atmosphäre in dem Fußballstadion bei einem Erstligaspiel von seinem Lieblingsverein, dem FC Porto, hautnah zu erleben. 

Der Ausgangspunkt für die Radtour ist ein kleiner Parkplatz am Vulkankrater. Doch bevor die Fahrt beginnt, genieße ich noch die fantastischen Ausblicke in den vierhundert Meter tiefen Vulkankegel mit den vielen Grüntönen der Wiesen und Sträucher. 

Einen Tag zuvor, bei der acht Kilometer langen Wanderung auf dem Kraterrand, war der Ausblick wolkenverhangen. Es waren die einzigen Momente während meines Aufenthaltes auf den Azoren, bei denen ich „endlich einmal“ das oft beschriebene raue Wetter spüren konnte, mit einem stürmischen Wind, den rasch vorbeiziehenden Wolken und den starken Regengüssen. 

Heute, bei der Fahrt mit dem Rad, beträgt die Tagestemperaturen wieder 30 Grad Celsius. Die Hitze ist für mich erdrückend. Zum Glück ist ab und zu ein leichtes Lüftchen zu spüren. Auf dem Weg vom Vulkankrater hinab zum Atlantik passiere ich den Ort Flamengos, in dessen unmittelbarer Nähe sich ein weitläufiger botanischer Garten befindet. Ein Hindurchfahren mit dem Bike durch diesen Park ist jedoch nicht möglich, da die Pfade mit Dornensträuchern verwachsen sind. Also heißt es wieder auf die Straße zurückzukehren, die über die Gemeinde Pedro Miguel im Nordosten der Insel Faial in das etwas abseits der Route gelegene, verschlafen wirkende Örtchen Ribeirinha führt. Die Ruine der Kirche in dieser Ortschaft ist ein stiller Zeuge des starken Erdbebens im Juli 1998 mit einer Stärke von 5,8 auf der Richterskala, bei dem fast alle Gebäude in der ganzen Gegend in Mitleidenschaft gezogen worden sind.

Die nachfolgenden Dörfer, die ich beim Radeln durchquere, unterscheiden sich kaum voneinander. Nur das Gebell der kläffenden Hunde ist in den Gehöften von weniger dicht besiedelten Orten lauter. Für mich ist das aggressive Bellen der Vierbeiner beim Radfahren sehr nervig. Da die Hunde mir auf dem Rad auch oft folgen, bringt erst die Installation einer App zur Hundeabwehr die Ruhe beim Radfahren zurück. Mit dieser App wird über das Handy ein höherfrequenter Signalton permanent versendet, den die Hunde als unangenehm empfinden und aufgrund dessen stehenbleiben.

Die nächste Siedlung an der Strecke ist der Ort Cedros als gleichzeitig größte Gemeinde an der Nordküste. Auffällig sind die vielen gut gepflegten Häuser, vor denen oft die portugiesische Fahne neben dem Banner der USA weht. Viele Emigranten kommen während der Sommermonate nach Faial, um ihre auf der Insel verbliebenen Verwandten zu besuchen. Sicherlich wird der reiche Onkel aus dem Westen auch den ein oder anderen Check auf die Azoren senden, sonst lässt sich der auffallende Unterschied dieser Häuser zu den baufälligen Anwesen für mich nicht erklären. Denn auf der Insel gibt es für die Einwohner nur die Viehzucht als Haupterwerb. In die große Molkerei in Cedros bringen die Bauern täglich bis zu vierzigtausend Liter Rohmilch in Kannen, aus der Butter und der äußerst wohlschmeckende Käse hergestellt wird. 

Das Highlight der Radrundfahrt wartet am Westgipfel der Insel an der Ponta dos Capelinhos auf mich. Entgegen dem sonst gewohnten, prägenden grünen Farbton, ist hier die Landschaft durch die Vulkanasche weitläufig schwarzgrau. Am Ufer des Atlantiks zeichnen sich die schroffen, hohen Steilwände ab, die sich aus erstarrter Lava gebildet haben. Dazwischen befindet sich die Ruine eines Leuchtturms, von dem die unterste Etage durch die Vulkanasche komplett verschüttet wurde. Gleich neben der Ruine liegt das unterirdische Informationszentrum, das alle Einzelheiten zum Vulkanismus und zum Ausbruch des Vulkans in diesem Gebiet im Jahr 1957 erklärt. Der Eingangsbereich zu diesem Zentrum ist in einer futuristisch wirkenden Architektur gestaltet worden, die mich an Bauten in einem Sciencefiction Film erinnern lässt. Aufgrund der informativen, gut lesbaren Darstellung der Geschehnisse vor Ort gehört es für mich zu den besten Museen, die ich auf den Azoren besucht habe. 

Der Vulkanausbruch im Meer, der erstmalig im September 1957 etwa einen Kilometer vor der Westküste registriert wurde, hat mit dieser und den nachfolgenden Eruptionen die ganze Landschaft unter einer dicken Schicht aus Asche begraben. Beim Umherstreifen durch diese unwirkliche Wüste kann ich noch vereinzelt die Giebel ehemaliger Wohnhäuser aus jener Zeit sehen. Hier lebten einst die Walfänger mit ihren Familien, wie an den Schautafeln zur Erklärung nachzulesen ist. Über ein Jahr lang haben sich weitere Vulkanausbrüche und Erdbeben ereignet, bis sich schließlich im Oktober 1958 eine kleine Insel aus dem Atlantik erhob und sich mit dem Festland verband. Damit entstand ein 2,4 Quadratkilometer großes Stück Neu-Portugal, worauf die Portugiesen auch noch heute stolz sind. 

Von der Wüste am Westgipfel führt ein unbefestigter Feldweg weiter die Küste entlang bis nach Varadouro, der nächsten größeren Ortschaft. Der lockere Boden ist genau der richtige Untergrund für das Mountainbike, sodass ich schnell die vor mir liegenden etwa zehn Kilometer lange Strecke vorankomme. In Varadouro gibt es nicht viel zu besichtigen. Aber das herrliche Naturschwimmbecken, das sich in unmittelbarer Nähe zu den schicken, weiß gestrichenen Ferienhäusern befindet, ist ein Besuch wert. Mit jeder hohen Welle, die auf die Felsen an der Küste mit voller Wucht auftrifft, wird frisches Meerwasser in die kleinen Becken im schwarzen Lavagestein hineingepumpt. So bleibt der Badespaß für die vielen Familien bis zum Ende des Tages erhalten, die sehr gern während der heißen Tage hierherkommen.

Mit dem Fahrrad ist allerdings keiner von ihnen unterwegs. Das ist auch nicht verwunderlich, ist doch der Fahrt hinauf zur Hauptstraße steil und lang. Nach dem Anstieg brauche ich bei meiner Ankunft an der Straßenkreuzung erst einmal die dringend erforderliche Zufuhr von Energie, die ich mir in dem kleinen Mini-Shop gönne. Diese kleinen Läden sind zumeist mit einer ebenso kleinen Bar in dem Nachbarraum verbunden. Alice, eine Frau im besten Mittelalter, die vor zehn Jahren aus Irland der Liebe wegen hierherkam, bedient in beiden Räumen gleichzeitig. Sie bereitet für mich in Windeseile zwei leckere Sandwiches mit Käse zu. Viel erzählt sie nicht von dem Leben in ihrer Wahlheimat. Wie jeden Tag steht sie in ihrem schlabbrigen, ausgeleierten schwarzen Jogginganzug im Geschäft und bedient die Einheimischen. Das sind zumeist die älteren Männer des Dorfes, die vor der Bar sitzen und ihr geliebtes Superbock Bier aus den Miniflaschen trinken. Im Wechsel rauchen und trinken sie dazu einen starken Espresso, um wach zu bleiben. Ihre zerfurchten und vom Wetter gegerbten, mit weißen Bartstoppeln übersäten Gesichter ähneln auf einer gewissen Art und Weise jenen, die auf den vergilbten Fotos von den Walfängern aus der guten alten Zeit an der Wand in der Bar hängen. 

Die weiteren Ortschaften entlang der Route sind typische Inseldörfer mit austauschbaren Ortskernen rund um die jeweilige Kirche. Ein Aufenthalt für die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten ist daher für mich nicht notwendig, so dass ich am frühen Nachmittag zurück am Radgeschäft in Horta ankomme. 

Nach der Rückgabe des Mountainbikes führt mich mein Weg in die Kirche Igreja Nossa Senhora das Angustias, in direkter Nachbarschaft vom Radgeschäft. Ein einzigartiger Ort, an dem ich schon bei meiner ersten Erkundung von Horta nach meiner Ankunft auf der Insel gewesen bin und der mich durch seine Geschichte begeistert. Diese Kirche soll ursprünglich von der Gattin eines flämischen Adligen in Dankbarkeit und Erleichterung gestiftet worden sein, dass es bei ihrer Ankunft auf Faial keine Schlangen und gefährlichen Tiere gab. Im Inneren bin ich von den vielen Wappen an der Decke des Kirchenchors beeindruckt, die Insignien einflussreicher Familien der Stadt abbilden. Darunter befindet sich auch das Wappen des Nürnbergers Martin Behaim, der die Tochter des flämischen Adligen 1486 in der Kapelle heiratete. Vier Jahre später lässt er den ersten, aus geleimten Holzstreifen, mit Papier und Gips überzogenen und mit bemaltem Pergament überspannten Erdglobus bauen, der seinen späteren Ruhm begründet. Nach der Meinung seiner Biographen habe er die Insel Faial und danach als Berater von Columbus Amerika entdeckt. Ein Jahr vor seiner Hochzeit in der Kapelle von Horta soll er in der Kongo-Mündung gewesen sein. Für mich sind das viele fantastische Erlebnisberichte, die wunderbar zu der Geschichte der Insel Faial passen.

Die Stadt Horta, die farbenprächtigste Marina der Welt

Die Hauptstadt der Insel Faial hat etwa fünftausendsechshundert Einwohner mit einem Stadtzentrum, das sich von der Marina vorbei an dem alten Castelo de Santa Cruz und entlang der angrenzenden, baumbestandenen Alleen hin zu zwei nahegelegenen, fußläufig schnell erreichbaren Plätzen erstreckt. Die reich geschmückten und aufwendig verzierten Fassaden der alten Bürgerhäuser prägen das Stadtbild zu dem viele kleine Läden, einfache Bars und schicke Cafés gehören. Hinter dieser Szenerie führen steile und oft sehr schmale Gassen hoch hinauf zu den Berghängen der angrenzenden Umgebung, die dicht mit Häusern bebaut sind.

Ein Muss für jeden Ankommenden in Horta ist der Besuch der Marina, da dort viele Yachten aus der ganzen Welt ankern. Für die Boote ist Horta ein wichtiger Zwischenstopp auf ihren Fahrten über den Nordatlantik und wenn die Segelschiffe von den Karibischen Inseln in Richtung Mittelmeer fahren. 

An der Mole haben sich die Seeleute aus den unterschiedlichsten Nationen mit großen und kleinen farbigen Gemälden verewigt. Es ist die größte Gemäldeausstellung unter freiem Himmel auf den Azoren mit dem längsten Gemälde auf unserem Globus, das über einen Kilometer misst. Der Yachthafen kann etwa dreihundert Schiffe aufnehmen und gehört zu einem der wichtigsten seiner Art weltweit, nachdem der Hafen in der Bucht im Jahre 1986 verlängert und ausgebaut sowie die Infrastruktur modernisiert wurde.

Häufig mit der Marina und den Seglern in Verbindung gebracht wird Peter’s Café Sport, das ich am Nachmittag besuche. Es ist das charismatischste Café des Nordatlantiks, das vor mehr als 80 Jahren durch Henrique Azevedo Mal für die Seefahrer eröffnet wurde, wie ich im Internet nachlese. Da Horta während dieser Zeit ein Umschlagplatz und Versorgungshafen der Walfangindustrie sowie ein Knotenpunkt der interkontinentalen Telekommunikation war, wurde das Café sehr schnell ein bekannter Treffpunkt für Seeleute, Walfänger und Angestellte der internationalen Telegrafengesellschaften, die beim Gin gemütlich beisammensaßen. Zwischen ihnen hörten die anwesenden Geheimdienstagenten die Gespräche mit, um die letzten Neuigkeiten aus den damals verfeindeten Ländern zu erfahren. Mit der Übernahme der Geschäfte durch den Sohn Jose, der im im Zweiten Weltkrieg durch einen englischen Kapitän den Spitznamen Peter bekam, wurde der Name in Peter Café Sport abgeändert, der zu einem festen Begriff nicht nur unter Weltenbummlern und Seglern wurde. Noch heute wird in dem Café die Post für die Atlantiküberquerer aufbewahrt und das Geld exotischer sowie gängiger Währungen getauscht. Interessant zum Lesen für mich sind die handschriftlich verfassten Angebote und Gesuche für das Anheuern auf einem Schiff zur Überfahrt, die auf Zetteln oberhalb des Tresens angebracht sind.

Die vielen farbenfrohen Flaggen, Wimpel aus aller Welt, die Fotos von Seeleuten und deren Crews in dem holzvertäfelten Inneren des Cafés sind Ausdruck der Dankbarkeit für eine erhaltene Hilfe oder die erteilten Ratschläge für die Weiterfahrt. Selbst die markante blaue Farbe der Fassade des Gebäudes soll einst ein Geschenk gewesen sein, als eine holländische Schiffscrew dem Inhaber zwei Eimer für den Anstrich überreichte. Seitdem wird das auffällige Blau regelmäßig originalgetreu erneuert. Das Magazin Newsweek bewertete das Café als eine der besten Bars auf unserem Globus. So ist es auch nicht verwunderlich, das in dem angrenzenden Geschäft neben dem Café alle möglichen Souvenirartikel verkauft werden. Auf Jacken, T-Shirts, Tassen, Taschen, Schlüsselanhänger wird der Name des Cafés mit dem Logo eines Pottwals gewinnträchtig vermarktet. 

Bevor ich mir meinen persönlichen Gin am Tresen zubereiten lasse, besuche ich vorher das hauseigene Museum, das Museu da Arte de Scrimshaw, im Obergeschoss des Cafés. In diesem Raum wird die größte Privatsammlung an Gegenständen und Kunstobjekten gezeigt, die aus Kieferknochen und Zähnen von Walen geschnitzt oder in die Abbildungen eingeritzt wurden. Der Legende nach sollen diese Sammlerobjekte richtig teuer geworden sein, nachdem John F. Kennedy als leidenschaftlicher Scrimshaw-Sammler dieses Museum bei seinem Aufenthalt auf Faial besucht hat. Millionen von Amerikaner wollten es ihm anschließend gleichtun und trieben somit den Preis der Kunstgegenstände in die Höhe. Jedes dieser Objekte kann eine eigene Geschichte mit einzigartigen Abbildungen erzählen. Ich fühle mich beim Betrachten der Bilder sofort in eine anderen Zeit versetzt. Erinnerungen an eine Verfilmung des Romans von Jack London „Der Seewolf“ werden in mir geweckt, die ich als Kind als Fernsehserie, vor der Flimmerkiste sitzend, gebannt verfolgt habe. 

Einen Stock tiefer wartet bereits mein Gin auf mich. Da ich bislang noch nie ein Glas von diesem alkoholischen Getränk getrunken habe, kann ich für mich feststellen, dass es der beste im Umkreis von mehreren tausend Seemeilen ist. 

Die Hauptstadt der Inseln Faial hat mit der Colonia Alemanha auch ein Stück deutscher Geschichte aufzuweisen. Diese deutsche Kolonie wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Ort gegründet, als alle Seekabel zur Telegraphie von und nach Horta zwischen Nordamerika und Europa verlegt wurden. In den fünf weißen Gebäuden der Kolonie hatte die Deutsche Atlantische Telegraphie Gesellschaft das größte Wohnquartier auf der Insel.

Dazu gehörten Familienwohnungen, ein Speisesaal für Alleinstehende, eine Bibliothek und ein Tischtennisraum, ein Ballsaal. Natürlich hatte auch der Chef ein eigenes Gebäude, typisch deutsch für die damalige Zeit. Die Glasmalerei stammt aus dem Jahr 1912. Es war für die Stadt damals eine regelrechte Boomzeit, da alle großen Nationen hier ihre Gesellschaften zur Telekommunikation stationiert hatten.

Während dieser Zeit sind auch wundervolle Gebäude im Jugendstil entstanden, wie das ehemalige Bankhaus im Zentrum der Stadt. Erst mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs endete dieses goldene Zeitalter für Horta. 

Tauchen im Atlantik

Am nächsten Morgen bin ich wieder am Hafen von Horta, wo Diver Norberto seine Tauchbasis hat. Gegründet wurde diese Station 1996 vom “Seewolf der Azoren” Norberto Serpa, der als Berufstaucher, Freitauchlehrer und Tauchtechniker mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Meereslebewesen hat. 

In den bunten Hochglanzmagazinen über das Tauchen sind die Azoren als einer der besten Tauchplätze im gesamten Atlantik aufgelistet. Die mehr als zwanzig verschiedenen Tauchspots um die Inseln Faial und Pico sind sehr vielfältig und können allen Vorlieben der Taucher gerecht werden. Die Highlights sind die anspruchsvollen Tauchgänge, bei denen Blauhaie zu sehen sind. Ich entscheide mich jedoch an einem einfacheren Tauchgang rund um das Meeresschutzgebiet “Monte da Guia” teilzunehmen, der durch die Tauchbasis Norberto durchgeführt wird.

Die Basis ist eigentlich ein Container, der gleichzeitig als Büro, Umkleide, Lager und Kompressorraum genutzt wird. Dementsprechend beengt geht es in dem kleinen Raum zu, den ich mir beim Umziehen mit zwei Amerikanern aus Seattle teile, mit denen ich an diesem Morgen tauchen werde. Ihre Arbeit als Designerin und IT-Spezialist ermöglichen es ihnen flexible und mobil von allen Orten der Welt zu arbeiten. 

Unser Guide bei der Tour ist der Portugiese Nuno, der nach dem Studium der Betriebswirtschaft das freiere Leben am Meer vorzieht als jeden Tag acht Stunden im Buero zu arbeiten. Im Laufe seines Einsatzes in der Tauchbasis hat Nuno die gelassene Grundhaltung angenommen, die notwendig ist, um in dem Gewühl von Kisten, Kleiderständern und den ǔbereinandergestapelten Neoprenanzügen für jeden Teilnehmer der Ausfahrt die richtige Ausrüstung herauszusuchen. Gemeinsam schleppen wir die mit Luft gefüllten Flaschen, das Blei und das sonstige, für das Tauchen benötigte Equipment zu dem Liegeplatz des Schlauchbootes, das uns anschließend in weniger als dreißig Minuten zum Ankerplatz auf dem offenen Meer bringen wird. 

Viel Zeit bleibt nach dem Ankern nicht, denn nach dem gegenseitigen Check der Ausrüstung lassen wir uns alle rückwärts vom Boot in das Wasser fallen. Unser Tauchplatz Baía de Entre Montes liegt in einer vor Wind und Strömung geschützten Bucht mit einer Tiefe zwischen sechs bis zwanzig Metern und ist somit ein ausgezeichneter Ort für einen entspannten Tauchgang. Dieser beginnt direkt an der Felswand der imposanten Erhebung Monte da Guia und führt allmählich auf eine Tiefe von sieben Metern, wo sich das Leben der Unterwasserwelt zwischen den Spalten und Löchern der Felsformation erahnen lässt. Unterwegs treffen wir auf verschiedene Arten von Muränen, Kraken und einige Schwärmen von vorüberziehenden bunten Fischen. Die gewöhnlichen Stechrochen begegnen uns über dem Sandboden im tieferen Teil des Tauchgangs auf etwa zwanzig Metern. 

Zurück in Horta lassen wir den Vormittag im Peters Café Sport gemütlich ausklingen, dass sich in unmittelbarer Nähe der Tauchbasis Noberto Dive befindet. Mit dem Blick auf die noch unbeschriebenen Seiten unserer Logbücher schmieden wir dabei Pläne für die zukünftigen Tauchreisen.

Oder vielleicht wird es bei einem der nächsten Urlaube auf den Azoren doch eher die Besteigung des höchsten Berges des Archipels sein? Wer weiß, die Zeit wird es zeigen. Zumindest lädt der fantastische Blick  auf den Gipfel des Berges Pico dazu ein, den wir am Tisch vor dem Café sitzend aus geniessen. 

Wanderungen auf Faial:

  • Von der Ponta dos Capelinhos auf dem Weg der zehn Vulkane zum Cabeo Verde, einem Vulkankrater (hin und zurück), 8,8 km, 300 Hm, 2:30 Std. Eine grandiose Tour mit grünen Vulkankratern und einer schwarzgrauen Mondlandschaft.

  • Umrundung der Caldeira, 7 km, 290 Hm, 1:50 Std. Ein einfacher Weg mit Panoramablicken in den Vulkankrater und die beiden Nachbarinseln Pico & São Jorge (allerdings nur bei schönem Wetter). 

  • Rund um Riberinha, 10 km, 480 Hm, 3 Std. Eine entspannte Wanderung durch den Osten Faials. 

@ Bei meinem Aufenthalt auf den Azoren habe ich drei Reiseführer genutzt: 

MARCO POLO Reiseführer Azoren: Reisen mit Insider-Tipps. Inkl. kostenloser Touren App Taschenbuch – 3. Januar 2023 von Sara Lier, ISBN-10: 3829718098.

Michael Müller Verlag: Azoren Reiseführer,  Individuell reisen mit vielen praktischen Tipps – 27. April 2022 von Michael Bussmann, ISBN-10 ‏: ‎3966850532.

Rother Wanderführer: Die schönsten Küsten- und Bergwanderungen. 86 Touren. Mit GPS-Daten Taschenbuch – 30. Juli 2019 von Roman Martin, ISBN-10: 3763343679.

Unzählige Vulkane, eindrucksvolle Berge und eine atemberaubende Natur für eine unvergessliche Kulisse auf dem Azoren Archipel.

1 Gedanke zu „Ein Hoch auf die Azoren“

  1. Hoch informative und wieder auch sehr persönliche Schilderung Deiner “Individual”-Reise auf die Azoren! Toll, dass Dir das Glück der wolkenlosen Einsichten in die Calderas vergönnt war. Es hat Spaß gemacht, beim Lesen Anregungen für eine weiteren Reise auf meiner Bucketlist zu erhalten.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar