Über die Oberwalderhütte auf den Johannisberg im Nationalpark Hohe Tauern in Österreich.
Für uns fünf Bergsteiger beginnt die Tour im Nationalpark Hohe Tauern im ewigen Eis an einem Samstag Anfang September. Das größte Naturschutzgebiet der Alpen gehört zu einer der schönsten Hochgebirgslandschaften auf unserer Erde. Dieses einzigartige alpine Terrain erstreckt sich von rund 1.000 Metern über dem Meeresspiegel bis zum 3.798 Meter hohen Gipfel des Großglockners.
Der Weg in dieses Naturparadies führt auf der mautpflichtigen Großglockner Hochalpenstraße hinauf zu der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe auf 2.369 Metern Seehöhe. Seinen Namen verdankt dieser Ort dem Regenten der Habsburger, der 1856 gemeinsam mit seiner Gemahlin Kaiserin Elisabeth, besser bekannt als Sisi, das Gebiet als Freund der Berge besuchte.
Hoch über der Pasterze, dem größten verbliebenen Gletscher der Ostalpen, rückt der höchste Gipfel Österreichs in schier greifbare Nähe.
Die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe (Bild oben) und der größte verbliebene Gletscher der Ostalpen (Bild unten) im Nationalpark Hohe Tauern.
Von der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe steigen wir bei schönstem Spätsommerwetter in etwas mehr als zwei Stunden aufwärts zur Oberwalderhütte, die in einer Höhe von 2.973 m über dem Meeresspiegel schon von weitem sichtbar auf einem weitläufigen Bergplateau thront. Diese Herberge wurde 1910 eröffnet und zählt nach ihrer Modernisierung im Jahr 1985 zu einer der umweltfreundlichsten Hütten im Alpenraum.
Der Aufstieg zur Oberwalderhütte (Bild unten) entlang des Naturlehrweges Gamsgrube in Richtung der Gletscher.
Nach einem ausgiebigen Abendbuffet in der Hütte und der obligatorischen Runde Obstwasser zum Ausklang des Tages, ziehen wir uns schon früh in das Matratzenlage zurück. Doch an Schlaf ist während der ganzen Nacht nicht zu denken, denn das laute Schnarchen im Raum lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
Morgenstimmung mit Blick von der Oberwalderhütte in die Bergwelt der Alpen.
Müde und matt schlürfe ich am nächsten Morgen in den Waschraum der Unterkunft, um meine Katzenwäsche durchzuführen. Dort stehen bereits die ersten, zu meist jüngeren Gipfelstürmer mit der rotierenden Zahnbürste im Mund. Mir scheint es, dass sie sich in einem inoffiziellen Wettbewerb des Langzeitputzens befinden, um die erste Auszeichnung an dem noch jungen Tag bereits in der Hütte zu ergattern.
Nach dem Frühstück startet meine Seilschaft pünktlich um 7 Uhr auf unsere Tour zum Johannisberg. Kaum zu glauben, dass sich dessen Gipfel fast auf 3500 Metern über Normalnull befindet. Von weitem betrachtet ähnelt dieser Berg im Hochgebirge eher einem Hügel.
Viele Seilschaften, die vor uns auf dem Weg in Richtung des Berggipfels unterwegs waren, haben ihre Spuren im Schnee und im Eis hinterlassen, so dass wir mühelos den angestrebten Ausgangspunkt vom Gipfelanstieg erreichen.
Frühmorgens auf dem Weg im ewigen Eis zum Johannisberg 3453 m.
Der Johannisberg bietet eine Vielzahl interessanter Aufstiege, doch besonders schön ist der Anstieg über den Nord-West-Grat, den unsere Gruppe bei der gemeinsamen Planung der Route am Abend zuvor in der Hütte ausgewählt hat. Unser Bergführer stürmt den etwas langwierigen Anstieg auf einem Felsgrat in die Obere Ödenwinkelscharte mühelos hinauf. Er kennt diese Route von unzähligen Bergtouren, die er in dieser Gegend jedes Jahr in der Hochsaison absolviert. Wir anderen Bergsteiger hängen bei ihm am Seil und folgen in regelmässigen Abständen kraxelnd über das felsige, manchmal lockere, brüchige Gestein den Bergrücken hinauf zum Gipfel. Am Grat gibt es fuer uns keine künstlichen Sicherungen, doch die zahlreichen Felszacken können als Aufstiegshilfe genutzt werden.
Der Aufstieg auf einem Felsgrat in die Obere Ödenwinkelscharte zum Gipfel des Johannisberges.
Auf dem Gipfel angekommen, geniessen wir die atemraubende Aussicht hinüber zum verschneiten Großglockner. Selbst der weit entfernte Berg Watzmann im Norden der Alpen ist an diesem Tag bei einem wolkenlosen, blauen Himmel sehr gut auszumachen. Im Westen hebt sich das Gletscherdach des Großvenedigers im Kontrast zu den vielen, niedrigeren Gipfeln der alpinen Bergwelt deutlich ab. Die Tiefblicke in die Täler zeigen die ganze Pracht der einzigartigen Eiswelt mit den kunstvoll geformten, zerklüfteten Eismassen, zwischen denen sich viele, unterschiedlich grosse Gletscherspalten gebildet haben. Dazwischen sind in unregelmässigen Abstände kleine Seen zu erkennen. Sie sind die stummen Vorboten der andauernden Eisschmelze.
Seit Jahrtausenden haben die Gletscher die Landschaft geformt und verändert. Immerhin gibt es im Nationalpark Hohe Tauern noch über dreihundertvierzig Gletscher, die etwa sechs Prozent der Nationalparkfläche ausmachen. Die Pasterze beim Großglockner ist mit rund sechzehn Quadratkilometern Fläche und einer vier Kilometer langen Gletscherzunge der größte Gletscher von ihnen. In den letzten zwanzig Jahren ist diese Gletscherzunge um rund sechzig Meter pro Jahr geschrumpft.
Das Gipfelfoto vom Johannisberg mit Blick auf den Grossglockner (Bild in der Mitte) und den Grossvenediger (Bild unten).
Der Abstieg über den Ostgrat des Johannisberges zurück zur Aufstiegsspur führt über loses Geröll aus unterschiedlichen Steinen. Fûr mich ist diese Vielfalt beeindruckend, die im Internet als eine geologische Sensation im sogenannten Tauernfenster beschrieben wird. Die höchsten Berge der Hohen Tauern werden aus Gesteinsschichten gebildet, die sonst in den Alpen in den tiefsten Stockwerken vorkommen. Durch das Tauernfenster sind diese tiefen Schichten der Erde an der Oberfläche zu sehen. Während die Zentralalpen im Nationalpark Hohe Tauern meist aus Granit, Gneis, kristalline Schiefer bestehen, sind die Kalkalpen im Norden und Süden vorwiegend aus hellerem und poröserem Kalkstein aufgebaut.
Abstieg vom Johannisberg über den Ostgrat.
Nach dem Erreichen des Eisfeldes beim Abstieg vom Berggipfel, ziehen wir uns für das Weitergehen die Steigeisen an. Gesichert in der Seilschaft und der Eispickel fest in der Hand haltend, geht die Tour nun in das ewige Eis. Mit breiten Schritten steigen wir über grosse Schollen mit Blicken in die tiefen Spalten, die beim genaueren Hineinsehen wunderschöne, vielfältig nuancierte blaue Farbtöne erkennen lassen. Oft hören wir gurgelnde Geräusche der Wasserbäche unter dem Eis.
Wir kommen zu einem Bereich, wo sich die Eismassen wie große ineinander geschobene Skulpturen aufbäumen. Diese Anblicke lassen die ungeheure Kraft der Natur erahnen.
Im ewigen Eis führt die Route über breite und tiefe Gletscherspalten.
Nach diesem einzigartigen Weg in dem ewigen Eis, erreichen wir nachmittags wieder die Oberwalderhütte. Es ist in diesem Moment der richtige Ort, um das gerade Erlebte noch einmal gemeinsam auf der Terrasse der Herberge bei schönstem Sonnenschein und einem Kaffee zu reflektieren. Nach der Aussage des Hüttenwirtes ist es das letzte Wochenende in diesem Jahr, an dem die Herberge geöffnet hat, denn der erste Schnee hat sich bereits für die kommenden Tage angekündigt. Von diesem idyllischen Ort ist die markierte Route zum Ausgangspunkt der Bergtour auch von der Ferne aus gut auszumachen.
Schon Minuten später sind wir mit voll gepackten Rucksäcken auf diesem Pfad unterwegs, der anfänglich über einen einfachen Klettersteig zum Parkhaus der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe hinabführt. An diesem späten Nachmittag ist dort weitaus weniger Publikumsverkehr vorzufinden als am Tag unserer Anreise.
Ein einfacher Klettersteig führt zu Beginn des Abstiegs hinab zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe.
Auf der Heimreise begleiten mich die vielen unvergesslichen Eindrücke von der Zeit im ewigen Eis, wenn dabei auch etwas Wehmut in Anbetracht des rasch voranschreitenden Abschmelzens der Gletscher mitschwingt.
Beschreibung der Tour
Tourengebiet: Nationalpark Hohe Tauern, Glocknergruppe, Oberwalderhütte in Kärnten, Österreich. |
Ausgangspunkt: Franz-Josefs-Höhe, 2370 m. |
Streckenlaenge und Gehzeit: 19 km, 8 Stunden. |
Höhenmeter Aufstieg / Abstieg: jeweils 1100 Hm. |
Charakteristik: Schöne Gletschertour mit großer Spaltengefahr. |
Gipfel / Berg: Johannisberg, 3463 m. |
Ausrüstung Hochtouren- und Gletscherausrüstung mit steigeisenfesten Bergschuhen, Seil, Steigeisen, Pickel. |
Route: Von der Franz-Josefs-Höhe auf dem Gamsgrubenweg, an der Hofmannshütte vorbei bis in den Wasserfallwinkel und über das Südliche Bockkarkees zur Oberwalderhütte, 2972 m. Von der Hütte Nordwestwärts in den Oberen Pasterzenboden queren, Richtung Obere Ödenwinkelscharte halten, kurz davor südwärts steil zum Nordwest-Grat ansteigen und von dort hinauf zum Gipfel des Johannisbergs, 3463 m. Abstieg über den leichteren Ost-Grat, in einem weiten Linksbogen zur Aufstiegsspur und über die Anstiegsroute zurück zum Ausgangspunkt. |