Infiziert vom Virus Island

Das Land aus Feuer und Eis (Teil 3).

Unterwegs auf der Ringstraße im Süden

Jeder, der Island zum ersten Mal besucht, wird im Laufe seines Aufenthaltes von dem dort grassierenden Virus infiziert, der unweigerlich zu einem stark ausgeprägtem Islandfieber führt. In Folge dessen wird er immer wieder als treuer und begeisterter Anhänger hierher an diese magischen Orte zurückkehren.

Spätestens bei einer Fahrt entlang der südlichen Ringstraße Nr. 1 setzt diese fiebrige Begeisterung für die Vulkaninsel im hohen Norden unmittelbar ein. Und obwohl diese Route von den unzähligen Islandfreunden schon mehr als tausendfach beschrieben wurde und jede neue Darstellung eigentlich nur eine Kopie von dem bereits Bekannten sein kann, hat auch mich die Fahrt von der im Süden gelegenen Stadt Selfoss zu dem Ort Höfn im äußersten südöstlichen Winkel des Landes derart fasziniert, dass ich meine Reiseerlebnisse dokumentiert habe.

Zurecht kann ich behaupten, dass es eine meiner schönsten, kurzweiligsten Autofahrten war, die ich bislang unternommen habe. Hin und zurück beträgt diese Tour etwas mehr als achthundert Kilometer und führt vorbei an einigen der schönsten Naturdenkmäler Islands.

Von der Stadt Selfoss kommend, geht der Highway direkt entlang des Wasserfalls Seljalandsfoss, der etwas Besonderes aufweist. Denn hier, und nur hier, können die Besucher die aus fünfundsechzig Metern herabstürzenden Wassermassen umrunden und auch von der Rückseite betrachten, bevor der unaufhörliche Strom an frischem Nass in das Meer fließt. Ein einmaliges Fotoerlebnis.

Der Seljalandsfoss zeigt sich von allen Seiten in seiner ganzen Pracht.

Die vielen, riesengroßen Felswände an der gut ausgebauten Ringstraße, von dessen Abbruchkanten immer wieder Wasserströme mit unterschiedlicher Intensität in die Tiefe rauschen, werden fortan meine treuen Begleiter beim Blick aus dem Fenster auf der Fahrerseite sein. 

Aber auch andere, im Vorbeifahren erlebte, wunderschöne Momente lassen mich spontan am Straßenrand stoppen, um diese Augenblicke mit dem Handy für das spätere Anschauen als Foto zu dokumentieren.

So fasziniert mich eine große Herde von Islandpferden in den unterschiedlichen Farben mit dem wilden Spiel der Jungtiere. Diese besondere Pferderasse ist die älteste Reinzucht auf unserem Globus. Seit über eintausend Jahren wurden die Pferde mit keiner anderen Rasse gekreuzt. Und das soll auch so bleiben. Einmal aus dem Land ausgeführt, dürfen die Tiere nicht mehr zurück auf die Insel. Dadurch wird ausgeschlossen, das Krankheitserreger nach Island eingeschleppt werden. Natürlich ist diese strenge Regel auch ein Pech für die heimischen isländischen Reiter, die bei internationalen Wettkämpfen quasi ihr bestes Pferd zu Hause im Stall stehen lassen müssen.

Isländer im Paradies für Pferde.

Weiter geht die Fahrt zu einem vorher nicht ausgeschilderten Parkplatz am Straßenrand, von dem ein vier Kilometer langer Pfad schnurgerade durch eine Lavawüste zu dem am häufigsten fotografierten Motiv Islands führt. 

An diesem bewussten Ort sind die Reste des im November 1973 notgelandeten Flugzeugs Douglas C-117D der US Army zu sehen. Die Ursache für die Notlandung des Transportflugzeugs war ein vereister Vergaser, wie im Internet nachzulesen ist. Keine sechzig Minuten nach der Notlandung wurden alle Insassen vom US-Militär evakuiert. Als die Landbesitzer diese Unfallstelle zum ersten Mal erreichten, war das Militär bereits dabei, die noch nutzbaren Teile des Flugzeugs komplett zu demontieren. Nur der Rumpf mit seinen fast fünf Tonnen Gewicht sollte am Ort verbleiben, weil er zu schwer für den Abtransport war. 

Richtig bekannt wurden die Reste des Flugzeugs erst wesentlich später durch das amerikanische Popidol Justin Bieber, der bei einer Produktion von einem seiner Musikvideos auf Island auch mit einem Skateboard medienwirksam über das Dach des Wracks fuhr.

Ein Besuchermagnet: Der Weg durch die Lavawüste hin zu dem Flugzeugwrack.

Zurück auf dem Highway geht der Road Trip anschließend in das Dorf Vik. Diese Gemeinde ist die am südlichsten  gelegene Ortschaft auf Island. Seine dreihundert Einwohnern leben in direkter Nähe zu dem Vulkan Katla im gleichnamigen Nationalpark.

Der Vulkan selber schlummert jetzt noch still unter dem gigantisch großen Mýrdalsjökull-Gletscher vor sich dahin. Statistisch gesehen ist aber ein Ausbruch dieses schlafenden Riesen unter den Vulkanen mehr als überfällig. Etwa zweimal pro Jahrhundert ist dieses Ereignis während der vergangenen eintausend Jahre eingetreten. Zuletzt entlud sich der Berg 1918 mit einer gewaltigen Eruption, die eine unvorstellbare Gletscherflut auslöste. Etwa 300.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde sind durch das Abschmelzen der Gletscher ausgeflossen und haben die angrenzenden Küstenbereiche vollständig überschwemmt. Der Wasserspiegel am Gletscherrand stieg innerhalb einer Stunde um fünfundsiebzig Meter, so die Experten. 

Bei einer erneuten Eruption könnte seine Asche bis zu dreißig Kilometer hoch in die Atmosphäre geschleudert werden. Keiner kann vorhersagen, wann der erneute Ausbruch erfolgt. Doch die Einheimischen haben gelernt, mit diesem Umstand umzugehen. 

Das Dorf Vik wird auch in jedem Island Touristenführer aufgeführt, weil hier der Strand von Reynisfjara angrenzt. Der wunderschöne schwarze Sand, der durch die Erosion des Vulkangesteins geformt wurde, die gewaltigen tosenden Wellen des Atlantiks und die nahegelegenen Felsspitzen im Meer, ziehen die Touristen auf Island magisch an, um einen der schönsten Strände auf der Erde hautnah zu erleben. 

Das Fischerdorf Vik mit seinen beiden Wahrzeichen.

Ganz ungefährlich ist das Gewässer jedoch nicht, weil sich die Wassermassen auf ihrem Weg zum Ufer urplötzlich zu Monsterwellen aufbauen können und bei ihrem Rückzug dann alles und jeden unweigerlich in das Meer mit sich ziehen. Diejenigen, die dabei bereits ertrunken sind, haben den empfohlenem Sicherheitsabstand von dem eigenen Standort bis zum Meer von mindestens dreißig Metern wohl eher nicht eingehalten. 

Das Fischerdorf selber verströmt auf mich eine Atmosphäre, die etwas an jene in den österreichischen Wintersportorten erinnert. Allerdings werden in Vik gegen 21 Uhr alle Läden und fast alle Restaurants geschlossen. Wer sich da nicht vorher mit alkoholhaltigen Getränken versorgt hat, trinkt zum Ausklang des Tages eben Tee oder andere alkoholfreie Varianten. 

Alles Trinkbare, was mehr als 2,5 % Alkohol aufweist, muss in einem der etwa fünfzig staatlichen Läden des Landes mit einer Lizenz zum Verkauf von alkoholischen Getränken erworben werden.

Aber auch ohne Alkohol sind die Abende auf den Campingplätzen in Island sehr kurzweilig. Menschen aus ganz Europa, aus Kanada, Amerika, Australien, Japan, China und anderen Ländern der Welt kommen in der jeweiligen Küche oder in dem Aufenthaltsraum oft spontan zusammen und tauschen sich über das Erlebte und das noch Geplante auf der Insel aus. Fahrer und Mitfahrer von Wohnmobilen, Mietwagen, Tramper, Radfahrer, sie alle sind hier in Island vereint, um die Schönheit unseres Planeten mit seiner Einzigartigkeit, der Energie und der Kraft der Natur zu bestaunen und in friedlicher Gemeinsamkeit zu feiern. Hier gibt es keine kleinen und großen Männer, die Länder erobern und Menschen in Abhängigkeiten von dem Reichtum unserer Erde bringen wollen. Das einzige was hier zählt, ist das Verständnis der Naturgewalten und das Leben mit ihnen, in dem Land, das aus Feuer und Eis geformt wurde und auch noch heutzutage geformt wird. 

Am nächsten Morgen besuche ich vor der Weiterfahrt als erstes die weiße Kirche mit dem roten Dach, die auf einem Hügel oberhalb des kleinen Ortes sichtbar thront. Es gibt kaum ein Foto von Vík, das nicht dieses Bauwerk zeigt. Das Innere des Gotteshauses besticht mit den weißen Holzwänden und den roten Sitzpolstern auf den Bänken durch eine elegante Schlichtheit, die mich hier länger verweilen lässt. Wie in der Broschüre über die Kirche nachzulesen ist, würde das Bauwerk beim Ausbruch des Vulkans Katla aufgrund der exponierten Lage keinen Schaden nehmen.

An diesem neuen Tag scheint die Sonne, was in Island selbst im Sommer nicht selbstverständlich ist. Denn nur an etwas mehr als eintausendzweihundert Stunden im Jahr sind die Sonnenstrahlen wirklich bewusst zu erleben. An so einem Tag macht es gleich doppelt soviel Spaß zurück auf dem Highway in Richtung Südosten unterwegs zu sein. 

Der Süden zählt mit dem Katla UNESCO Global Geopark für viele zum schönsten Teil der Insel. Vermutlich ist das so, weil hier wirklich ein Naturhighlight das nächste jagt und sich die Sehenswürdigkeiten wie Perlen auf einer Kette aneinander reihen. 

Der Mýrdalsjökull-Gletscher mit dem Vulkan Katla vor seinem nächsten Ausbruch.

Sobald ich die Ortschaft Vik in Richtung Osten verlasse, geht die Weiterfahrt nur zäh voran, da mich nicht nur die Geschwindigkeitsbegrenzung von 90 km/h zum langsamen Fahren anhält, sondern auch jedes neue einzigartige Motiv fotografiert werden will. 

Gut siebzig Kilometer sind es für mich bis zum nächsten Zwischenstopp in dem Örtchen Klaustur. Dieser Streckenabschnitt zählt mit zu den schönsten entlang der Ringstraße. 

In dieser Landschaft ist der schneebedeckte Mýrdalsjökull-Gletscher mit seinen vielen Gletscherzungen beim Fahren mit dem Auto auf der Straße auch von der Ferne aus leicht auszumachen. Von dort entspringen die weitläufigen Flüsse an Schmelzwasser, deren weit verzweigten Flussverläufe sich im Laufe der Zeit immer wieder verändern. Auf ihrem Weg in Richtung Atlantik haben sie eine breite, bis zu siebenhundert Quadratkilometer ausgedehnte Schotterebene hinterlassen, die unbewohnbar scheint. 

Auch auf den nachfolgenden weitläufigen Lavafeldern, die mit hellgrünem Moos bewachsen sind, ist eine Bewirtschaftung durch den Menschen nicht möglich. Zum Anschauen als stille Zeugen vergangener Vulkanausbrüche eignen sie sich jedoch für mich hervorragend. 

On the road durch die Lavafelder nach Südosten.

Erst in dem kleinen Dörfchen Klaustur scheint das Leben mit der grasbewachsenen Hochebene oberhalb der Klippen wieder zu erwachen. Der wunderschöne See und der von ihm entspringende Wassserfall laden mich daher sofort zu einer kleinen Wanderung in diesem Gebiet ein. Bei diesen Touren bin ich immer wieder von der frischen, sauberen Luft angetan, die von meinen Lungenflügeln begierig aufgesaugt wird. 

Der See Systravatn mit einem idealen Rastplatz für Wanderer.

Was danach bei der Weiterfahrt an der Ringstraße kommt, ist eine Region gespickt mit Superlativen an Naturschönheiten. Denn der Vatnajökull-Nationalpark ist das größte geschützte Gebiet seiner Art in Europa. Der gleichnamige Gletscher in diesem Nationalpark ist mit 8.300 Quadratkilometern der drittgrößte der Erde. Nur die Eisflächen Grönlands und der Antartkis sind flächenmässig weitläufiger. 

Neben dem ewigen Eis hat der Nationalpark natürlich viele weitere Naturwunder zu bieten, wie die riesigen Gletscherflüsse, die wunderschönen wilden Canyons, viele blaue Gletscherlagunen und selbstverständlich beeindruckende, in die Tiefe stützende Wasserfälle.

Von all diesen Naturschätzen importiert mir der Gletschersee Jökulsárlón am meisten, der sich direkt an der Ringstraße befindet. Dessen Gletscherzunge hat sich in den letzten einhundert Jahren vom Meer aus um über zwei Kilometer zurückgezogen und dabei den heutigen Gletschersee zurückgelassen. Von dem derzeitigen Ende der Gletscherzunge brechen ständig neue, kleine Eisberge ab, die auf dem See umhertreiben. Manche von ihnen ziehen dann weiter in Richtung Atlantik. 

Island Highlights im Vatnajökull-Nationalpark am Gletschersee Jökulsárlón.

Ich habe ein derartiges Spektakel bislang nur im Fernsehen erlebt. Aber solche Augenblicke Vorort wahrzunehmen, ist noch einmal etwas ganz besonderes. Interessiert suche ich noch am Ort des Geschehens im Internet nach weiteren Erklärungen zu den einzelnen Abläufen. 

„Die abgebrochenen Eisblöcke sind leuchtend blau. Das Eis ist praktisch frei von Luftblasen und reflektiert den blauen Anteil des Lichts. Nach einigen Tagen dringt Luft ins Eis ein und der gesamte Spektralbereich des sichtbaren Lichtes wird reflektiert. Das Eis wird weiß.“ 

Porleifur Einarsson, Geologie von Island. Gesteine und Landschaften

Ein grandioses Naturphänomen. Während in den Alpen die Gletscher jährlich immer weiter aufgrund der Klimaerwärmung schmelzen, scheinen hier in Island die Bildung von neuem und das langsame Abfließen von altem Gletschereis noch normalen, erklärbaren Vorgängen in der Natur zu folgen. 

Beim stillen Betrachten der traumhaften Kulisse und dem gleichzeitigen Recherchieren im Internet vergeht die Zeit wie im Fluge. Aber ich muss zurück auf die Straße, wenn ich mein angestrebtes Tagesziel noch vor dem Eintritt der Dunkelheit erreichen will. Das sind noch einmal fünfzig traumhafte Kilometer in einer nun wieder grüner werdenden Landschaft. 

Doch gerade in dem Moment, als ich vor mich dahin träume und der besonderen Musik der isländischen Rockgruppe „Sigur Ros“ im Radio lausche, erschrecke ich plötzlich beim Betrachten der Multifunktionsanzeige in meinem kleinen Hyundai. 

Die Tankanzeige mit der Angabe der mir restlich noch zur Verfügung stehenden Kilometer bis zum nächsten Auftanken ist urplötzlich verschwunden. Das ist kein gutes Zeichen, denn ich möchte nur ungern ohne Sprit inmitten der Gletscherlandschaft auf dem schmalem Highway zum Stehen kommen und den nachfolgenden Verkehr blockieren. 

Hellwach biege ich intuitiv nach links auf die nächste Schotterpiste ab und steuere das mir in der Ferne sichtbare Gehöft an. Die freundliche Farmersfrau empfängt mich herzlich, obwohl sie mich vorher noch nie gesehen hat. Zum  Glück versteht sie englisch und ruft nach meiner Erklärung der Situation einen ihrer Nachbarn an, der tatsächlich einen vollgefüllten Benzinkanister sofort vorbeibringt. Die Weiterfahrt ist gerettet, auch wenn ich den doppelten Preis für das Benzin bezahlen muss. Glücklicherweise wird in Island alles mit der Geldkarte bezahlt, sodass ich nie in Verlegenheit komme, nicht ausreichend Bargeld mitzuführen. 

Zufrieden, glücklich und entspannt erreiche ich abends den Campingplatz am Stadtrand der Kleinstadt Höfn im Südosten Islands. 

Nach dem Zeltaufbau und dem Zubereiten des Fertiggerichts auf dem Gaskocher bleibt noch Zeit, um in dem einzigen Pub des Ortes mit dem leicht einzuprägenden Namen „Ups“ eines der gepflegten isländischen Biere zu verköstigen, die alle in der Regel etwas mehr als zehn Euro kosten. Mir bleibt da nur „Prost“ zu sagen und mit den Spaniern am Nachbartisch auf diesen erlebten, genialen Tag in Island anzustoßen.

Beim Zeltabbau am nächsten Morgen muss ich bei der gleichzeitigen Bestandsaufnahme feststellen, dass sich während meines nun fast zweiwöchigen Aktivurlaubs in Island der grösste Teil meiner Campingausrüstung fast vollständig von selbst aufgelöst hat. Der vor der Reise extra gekaufte fünfhundert Euro teure Schlafsack zeigt einen Riss neben dem Reisverschluss, aus dem die federleichte, weiße Füllung bei jeder Bewegung des Schlafutensils herausquillt. 

Das neue Zelt mit den hohen Werten für die Wassersäule, die eigentlich trockene Nächte versprechen sollten, weist im Zeltboden zwei Löcher auf. Einzig allein der seit Urzeiten bewährte Gaskocher und das bei einem Discounter gekaufte gelbe Schwammtuch haben während der Reise ihre Dienste zur vollsten Zufriedenheit getan. 

Aber was soll das Jammern, der Tag mit etwas Sonnenschein ist jung und einfach zu schön, um sich über die mangelnde Qualität der Produkte aufzuregen. 

Entspannt und gelassen streife ich durch den Küstenort Höfn, dessen Straßen auch an diesem Arbeitstag wie leergefegt sind. Nur die Touristen sind in Richtung des isländischen Discounters „Netto“ unterwegs, wo es auch die einzigste Möglichkeit im Ort gibt, um während dieser Tageszeit sich einen „Guten Morgen“ Kaffee aus dem Automaten aufbrühen zu lassen. 

Der Hafen von Höfn im Südosten Islands.

Mir gefallen diese kleinen, äußerst friedlich wirkenden Miniorte auf Island sehr. Beim Herumstreifen durch diese Ortschaften gibt es immer etwas zu entdecken, da in Island jedes noch so kleine Ereignis, das einen gewissen geschichtlichen Bezug hat, mit vielen Schautafeln und noch mehr Text ausführlich dokumentiert wird. 

So stehe ich vor einem Denkmal mit drei Steinsäulen auf einer Anhöhe mit dem Blick auf den kleinen Hafen von Höfn. Diese drei Pfosten wurden zur Erinnerung an alle auf dem Atlantik gebliebenen Fischer und Seeleute errichtet. Die daneben installierten Schautafeln berichten von dem Ereignis aus dem Jahre 1924, als der amerikanische Fliegeroffizier Eric Nelson bei der ersten Weltumrundung mit einem Flugzeug, die einhundertsiebenundfünfzig Tage dauerte, in Höfn auf Island nach einem gefahrvollen Überseeflug landete. 

Von der Anhöhe aus sehe ich auch die Ringstraße Nr. 1, die mich entlang der Südküste zurück nach Selfoss bringen wird, dem Ausgangspunkt meiner traumhaften Autofahrt. Noch einmal ziehen die wunderschönen Landschaften beim Fahren auf dem Highway wie in einem Film an mir vorbei. 

An dem Gletschersee Jökulsárlón stoppe ich bewusst das Auto, um wiederholt die unvergesslichen Momente beim Anblick des Gletschers, der Lagune mit den umhertreibenden Eisblöcken und vom tosenden Atlantik in mich aufzunehmen. Es sind solche einmalige Augenblicke, wie ich sie auch Tage zuvor bei der Beobachtung von Whalen und den bunten Vögeln der Papageitaucher bei der Ausfahrt mit dem Schiff von Reykjavik auf meiner Festplatte im Kopf gespeichert habe. Es sind meine persönlichen Souvenirs in der Erinnerung an den Besuch auf dem Planeten Island. 

Um näher an die einzelnen, in der Gletscherlagune schwimmenden Klötze aus dem ewigen Eis herzukommen, buche ich kurzfristig eine dreißigminütige Fahrt mit einem Amphibienfahrzeug, das alle zehn Minuten mit fünfundzwanzig zahlungswilligen Touristen in den Gletschersee hineinfährt. Bei einem Ticketpreis von vierzig Euro pro Person sollte das für diesen Anbieter der Touren etwa einen Umsatz von fünf Millionen Euro pro Saison ausmachen, die von Mai bis September komplett ausgebucht ist. 

Mit dem Amphibienfahrzeug auf dem Weg in das ewige Eis.

Der Tourismus ist inzwischen die Haupteinnahmequelle auf der Insel geworden. Ein ganzjähriges Happening, denn ab September fallen die ersten Anbeter der grünen Nordlichter in das Land ein. Etwa zwei Millionen Gäste aus der ganzen Welt kommen jedes Jahr hierher. Die Isländer würden sehr gern noch mehr Entdecker in ihrer Heimat begrüßen, wenn nicht die Angst vor dem unberechenbaren, gewaltigen Ausbruch des Vulkans Katla wäre. Diese Menschenmenge innerhalb kürzester Zeit bei den vorangehenden Erdbeben und den nachfolgenden explosiven Eruptionen sicher zu evakuieren, ist selbst für die sonst perfekt organisierten Nordländer nicht beherrschbar. 

Trotzdem heißt es jedes Jahr von Neuen:

Willkommen im Disneyland für Abenteurer und Naturliebhaber.

Der Ablauf der Besichtigungstour auf dem Gletschersee ist bis in das kleinste Detail minutiös geplant und wird von einer jungen Italienerin als Guide mit den vielen Informationen über den Gletscher, das Eis und natürlich über Island selber lebendig dargestellt. Die Guides bei derartigen Touren sind zumeist Ausländer, die vorher ein Studium in Meeresbiologie oder vergleichbaren Fächern abgeschlossen haben und in Verbundenheit mit der einzigartigen Natur auf Island hier im Norden hängen geblieben sind. Im Laufe der Tour auf der Lagune wird von einem Helfer in einem nebenherfahrenden Schlauchboot ein glasklarer, armdicker Eisblock an Bord des Amphibienfahrzeugs gebracht. Ein davon abgehacktes Stückchen lasse ich langsam auf meiner Zunge zergehen. Was da gerade in meinem Mund zerläuft, hat vermutlich eine tausendjährige Geschichte hinter sich, was für mich einfach unfassbar ist.

Die nachfolgende Autofahrt in die Stadt Selfoss bewältige ich in einem Ritt, auch weil anschließend noch die Weiterfahrt nach Reykjavik zu meinem mir inzwischen schon heimisch gewordenen Eco Zeltplatz neben dem Schwimmbad ansteht. 

Die Ringstraße Nr. 1 im Süden Islands.

Das Wetter hat bei der Fahrt plötzlich umgeschlagen und lässt den Highway bei dem Starkregen schnell in den Wassermassen abtauchen. Die winzigen Scheibenwischer meines Mietwagens bewegen sich blitzschnell hin und her, schaffen es aber nicht, dem Regenfall Paroli zu bieten. 

Solche unerwarteten Momente eines plötzlich eintretenden Wetterwechsels gehören genau so zu Island, wie die Gletscher aus ewigem Eis und die feuerspuckenden Vulkane. 

Die Isländer sagen in solchen Augenblicken:


„Ich wollte wirklich heute zum Strand gehen, als ich aus dem Fenster geschaut habe. Aber jetzt ist ein totales Fensterwetter”

Die mir verbleibende Zeit in Island fliegt schnell dahin, als ob sie der starke Wind der letzten Tage mit Geschwindigkeiten von bis zu 8 m/sec auf das offene Meer getrieben hätte. Noch einmal besuche ich in der Hauptstadt die mir lieb gewordenen Orte, wie die Konzerthalle Harpa, die Hallgrimskirche und das gemütliche Cafe Asmundarsalur ganz in dessen Nähe mit den lichtdurchfluteten Ausstellungsräumen und den ausgelegten Bildbänden über Isländische Künstler.  

Zurück mit dem Virus Island in dem anderen Teil der Welt

Zu Hause in Deutschland angekommen, steige ich, schwer beladen mit zwei Gepäcktaschen, aus der S Bahn. Sofort umfängt mich eine sommerliche Wärme, die ich vierzehn Tage bei Tagestemperaturen von durchschnittlich zwölf Grad Celsius in Island vermisst habe. 

Die Menschen, den ich beim Durchqueren der Fußgängerpassage auf dem Weg zu meiner Wohnung begegne, starren mich mit großen Augen an. So, als ob ich von einem anderen Planeten kommen würde. Kein Wunder, denn im Vergleich zu ihnen bin ich mit einer für sie winterlich anmutenden Bekleidung unterwegs. Ein Schaltuch, eine Goretexjacke, zwei Paar Hosen habe ich für die anderen sichtbar an meinem Körper. 

Ich habe diese Sachen seit der letzten Nacht nicht mehr gewechselt und wirklich alle auch auf Island gebraucht, zumindest während der oft kalten und feuchten Nächte in meiner kleinen Zeltbehausung. 

So langsam zieht auch in meine Knochen die Wärme des Nachmittags wieder ein. Im Vorbeigehen sehe ich die Werbetafel vor dem Bistro Phönix: „Heute Currywurst mit Pommes für 9,90 Euro“. Gleich daneben ein Plakat auf einer Papptafel, die an einem Lichtmasten angebunden ist, mit der Einladung zu der Veranstaltung des Zirkus Rio, der hier im Ort an dem kommenden Wochende gastieren wird.

Ja, jetzt weiß ich es, ich bin wohlbehalten und glücklich zurück vom Planeten Island 🇮🇸 zu hause angekommen, auch wenn ich mich dabei mit dem Virus Island infiziert habe.

@ Der für mich beste Reiseführer, der das wilde, weite Island mit seiner ursprünglichen Natur und den vielen Empfehlungen für die Planung der eigenen Reise sehr gut beschreibt, ist das Buch von Christine Sadler und Jens Willhardt. Auch wenn dieses Kompendium für mich zu schwer war, um es bei den Trekking Touren mitzunehmen, so konnte ich jedoch insbesondere bei den anschließenden Übernachtungen auf den Zeltplätzen beim Lesen dieses Buches immer wieder neue Inspirationen für das Kommende und Wissenswertes über das Land und die Isländer erfahren: Island, Michael Müller Verlag GmbH, Christine Sadler und Jens Willhardt, 9. Auflage, 2021, ISBN 978-3-95654-931-1.

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